Rz. 13
Der Progressionsvorbehalt bewirkt, dass ein Erwerber, bei dem ein Teil seines Erwerbs wegen eines DBA nicht zur Erbschaft- und Schenkungsteuer herangezogen wird (sog. Freistellungsmethode), dadurch nicht in eine niedrigere Progressionsstufe gelangt. Übersieht der zuständige Finanzbeamte den Progressionsvorbehalt, obwohl er dessen Erfordernis bereits aktenkundig gemacht hatte, so liegt eine offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO vor. Übersieht das Finanzamt hingegen trotz erklärtem Auslandsvermögen § 19 Abs. 2 ErbStG, liegt nicht mehr eine offenbare Unrichtigkeit vor.
Rz. 14
Diese Vorschrift gilt nur bei unbeschränkter Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) des Erblassers/Schenkers oder des Erwerbers oder falls nach § 2 Abs. 3 ErbStG (wirksam gewesen ab 14.12.2011 s. § 37 Abs. 7 ErbStG) die Besteuerung des Vermögensanfalls als unbeschränkt steuerpflichtig beantragt wurde (s. § 2 ErbStG Rz. 110). Das Optionsrecht nach § 2 Abs. 3 ErbStG ist für Erwerbe ab dem 25.6.2017 weggefallen, weil ab diesem Zeitpunkt bei beschränkter Steuerpflicht der Erwerber grundsätzlich die Freibeträge erhält, die ihm bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 16 Abs. 1 und § 17 ErbStG zustehen würden (Art. 37 Abs. 14 und Abs. 13 ErbStG n.F.).
Rz. 15
Bei Fällen mit beschränkter Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) ist ohne Anwendung des § 19 Abs. 2 ErbStG nur das der deutschen Besteuerung unterliegende Inlandsvermögen in die Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG einzubeziehen.
Rz. 16
Der Progressionsvorbehalt verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG.
Rz. 17
Da derzeit fast alle DBA (s. Aufstellung § 2 ErbStG Rz. 141) die sog. Anrechnungsmethode (s. dazu § 2 ErbStG Rz. 137) verwenden – lediglich das DBA Schweiz (für schweizerischen Grundbesitz von Schweizer Staatsbürgern Art. 10 Abs. 1) und das DBA Griechenland (für bewegliches Nachlassvermögen Art. 1 Rz. 23, 35) haben die Freistellungsmethode – ist die Bedeutung dieser Vorschrift nicht groß. Danach verzichtet der Belegenheitsstaat auf sein Besteuerungsrecht und der Ansässigkeitsstaat erhält das volle Besteuerungsrecht. Nachdem das DBA Schweiz ausdrücklich den Progressionsvorbehalt enthält, das DBA Griechenland jedoch nicht, ist bei letzterem streitig, ob § 19 Abs. 2 ErbStG hier eingreift. Laut BVerfG v. 10.3.1971 muss der Progressionsvorbehalt ausdrücklich im jeweiligen DBA vorbehalten sein (s.a. H E 19 ErbStH 2019). Nach anderer Auffassung genügt hingegen schon das Fehlen eines Verbots im DBA.
Rz. 17.1
Die Bewertung ausländischer Grundstücke mit dem gemeinen Wert nach § 12 Abs. 6 ErbStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 und § 9 Abs. 1 BewG ist in solch einem Fall nach dem EuGH-Urteil v. 17.1.2008 (s. auch § 2 ErbStG Rz. 17) gemeinschaftswidrig, weshalb gemeinschaftsrechtskonform das Grundstück nach den §§ 138 ff. BewG im Wege der Schätzung so zu bewerten ist, als wenn es im Inland läge, falls der gemeine Wert höher wäre. Dies gilt auch bei der Ermittlung des Steuersatzes nach § 19 Abs. 2 ErbStG und zwar dann, wenn sich für den ganzen Erwerb ein höherer Steuersatz ergibt, als sich bei einer Bewertung des ausländischen Grundstücks in Anlehnung an die §§ 138 ff. BewG ergäbe.
Rz. 17.2
Wird ausländischer Grundbesitz sowohl im ausländischen als auch im inländischen Erbschaftsteuerbescheid berücksichtigt, liegt bei einem deutschen Progressionsvorbehalt keine widerstreitende Steuerfestsetzung nach § 174 Nr. 1 AO vor.