I. Fünfjahresfrist
Rz. 77
Deutsche Staatsangehörige sind selbst dann noch im Inland unbeschränkt steuerpflichtig, wenn sie im Inland keinen Wohnsitz mehr haben, sich aber noch keine fünf Jahre dauernd im Ausland aufhalten (sog. Wegzügler). Ohne Bedeutung ist, bei welchem der Beteiligten (Erblasser/Schenker oder Erwerber) dies der Fall ist. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass die deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuer durch lediglich vorübergehende Wohnsitzverlagerungen (z.B. kurz vor dem Tod des im Sterben liegenden Erblassers) in das Ausland umgangen werden kann. Zur örtlichen Zuständigkeit des Finanzamts s. § 35 Abs. 1 Satz 2 ErbStG.
Rz. 78
Durch manche DBA wird jedoch diese erweiterte Steuerpflicht modifiziert. Im Verhältnis zu den USA gilt die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht sogar für die Dauer von zehn Jahren nach dem Wegzug deutscher Staatsangehöriger (s. Rz. 161). Mit Beschluss des BFH vom 20.9.2022 hat dieser festgestellt, dass Art. 4 DBA USA-Erb 2000 in Erbfällen allein den Erblasser und unter den Erben dessen zum Haushalt gehörende Familienangehörige betrifft, hingegen nicht sonstige Erben. Dies folgt aus Art. 4 Abs. 3 DBA USA-Erb 2000, der einleitend und zentral an den Zeitpunkt des Todes derjenigen natürlichen Person anknüpft, um die es geht. Dies kann nur der Erblasser und nicht der Erbe sein.
Rz. 79
Die erweitert unbeschränkte Steuerpflicht deutscher Staatsangehöriger gehört zur unbeschränkten Steuerpflicht i.S.d. § 21 Abs. 1 ErbStG, weil sie nicht deren Wirkung erweitert, sondern nur zeitlich verlängert. Man könnte sie deshalb auch als verlängerte unbeschränkte Steuerpflicht bezeichnen.
Rz. 80
Der Umstand, dass andere Staatsangehörige, die das Inland verlassen haben, nicht dieser Steuerpflicht unterliegen, stellt keine sog. Inländerdiskriminierung dar. Aufgrund des EuGH-Urteils vom 23.2.2006, das zu vergleichbarem niederländischem Recht erging (sogar mit einer 10-Jahresfrist), ist eine solche Besteuerung zulässig, wenn sie unter Befreiung der im anderen Staat erhobenen Erbschaftsteuer erfolgt.
Rz. 81
Besitzt der deutsche Staatsangehörige auch noch eine weitere Staatsangehörigkeit (Mehrstaatler), so ist eine solche Steuerpflicht nicht ausgeschlossen, es sei denn, wenn der Steuerpflichtige beim Wegzug engere Beziehungen zum anderen Staat hat.
II. Vermeidung der erweitert unbeschränkten Steuerpflicht
Rz. 82
Durch Aufgabe des Wohnsitzes oder den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit lässt sich diese unbeschränkte Steuerpflicht vermeiden, wobei sowohl auf Erwerberseite als auch auf Seiten des Erblassers oder Schenkers dies vorliegen muss.
Außerdem müssen im Allgemeinen zudem ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland sowie Inlandsvermögen nach § 121 BewG vermieden werden. Ertragsteuerlich kann es jedoch dadurch zu einer Gewinnrealisierung kommen (§ 6 Abs. 3 AStG, § 21 Abs. 2 Nr. 2 UmwStG, §§ 16, 17 EStG). Zudem besteht während der Übergangszeit das Risiko, dass bei einem Erbfall sowohl in Deutschland als auch im neuen Wohnsitzstaat unbeschränkte Steuerpflicht eintritt.
Rz. 83
Sicherer ist es, die deutsche Staatsangehörigkeit aufzugeben. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelt (§ 17 StAG). Danach geht sie verloren durch
- Entlassung (§§ 18–24 StAG),
- den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG),
- Verzicht,
- Annahme als Kind durch einen Ausländer (§ 27 StAG),
- Eintritt in die Streitkräfte oder einen vergleichbaren bewaffneten Verband eines ausländischen Staates (§ 28 StAG) – wohl kaum empfehlenswert,
- Erklärung (§ 29 StAG).
Zu beachten ist dabei, dass dann immer noch die erweiterte beschränkte Steuerpflicht nach § 4 AStG eingreifen kann (s. Rz. 117).
Rz. 84
Die Aufgabe der deutschen Staatsangehörigkeit kommt regelmäßig nur unter Erwerb einer neuen Staatsbürgerschaft in Betracht. Innerhalb der EU bieten derzeit z.B. Malta und Zypern diese Option für wohlhabende Bürger an, ohne dass eine längere Karenzfrist zu beachten wäre.
III. Rechtmäßigkeit der erweitert unbeschränkten Steuerpflicht
Rz. 85
Mit Urteil vom 12.10.2022 hat der BFH entschieden, dass die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht weder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG verletzt noch ge...