I. Wirtschaftliche Voraussetzungen
1. Vorbemerkungen
Rz. 57
Nach der Rechtsprechung des RFH zu § 2 BewG, der der BFH gefolgt ist, versteht man unter einer wirtschaftlichen Einheit entweder ein Einzelwirtschaftsgut, das für sich allein im Wirtschaftsleben ein Eigendasein führt, oder die Verbindung mehrerer Wirtschaftsgüter zu einer Sachgesamtheit, die regelmäßig einem gemeinsamen wirtschaftlichen Zweck dient.
Rz. 58
Bei der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse konnte das Gesetz keine brauchbare Definition der wirtschaftlichen Einheit geben. § 2 Abs. 1 BewG beschränkt sich deshalb darauf, einige Abgrenzungsmerkmale zu nennen. Danach ist in erster Linie die Verkehrsanschauung entscheidend; zu berücksichtigen sind aber auch die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der Wirtschaftsgüter.
Rz. 59
Die vorgenannten Abgrenzungsmerkmale zeigen, dass für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit teils objektive und teils subjektive Momente maßgebend sein können. Verkehrsanschauung, örtliche Gewohnheit und wirtschaftliche Zusammengehörigkeit sind objektive Abgrenzungsmerkmale; insb. die Zweckbestimmung, die vom Willen des Eigentümers abhängt, ist ein subjektives Abgrenzungsmerkmal, aber auch die tatsächliche Übung kann von subjektiven Umständen bestimmt sein. Bei subjektiven Abgrenzungsmerkmalen ist nicht der behauptete innere Wille maßgebend, sondern es kommt darauf an, wie der Wille in die Tat umgesetzt wird. Stehen objektive und subjektive Abgrenzungsmerkmale im Widerspruch, so ist die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit auf die objektiven Merkmale zu stützen.
2. Verkehrsanschauung
Rz. 60
Die Meinungen darüber, was unter der Verkehrsanschauung zu verstehen ist, gehen auseinander. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich aber zwanglos auf, wenn man berücksichtigt, in welchem Zusammenhang die Verkehrsanschauung von Bedeutung ist. Für die Einheitsbewertung des Grundvermögens leitet der BFH die Verkehrsanschauung von der Allgemeinheit vernünftig denkender Menschen ab oder von der Anschauung, die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befasst werden. Die so verstandene Verkehrsanschauung bedarf keiner besonderen Feststellung durch den Tatrichter, weil sie gerichtsbekannt ist, denn sie betrifft nicht Fragen, die von den beteiligten Wirtschaftskreisen geprägt werden.
Rz. 61
Der BFH ist allerdings auch der Ansicht, dass die Verkehrsanschauung von den beteiligten Wirtschaftskreisen bestimmt wird, wenn sie sich auf Begriffe des Wirtschaftslebens dieser Kreise bezieht. Letztere Verkehrsanschauung bedarf der Feststellung durch den Tatrichter.
Rz. 62
Hieraus lässt sich für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheiten zum Zwecke der Bewertung der Grundsatz aufstellen, dass die Verkehrsanschauung eine von der Allgemeinheit der Bürger abgeleitete Auffassung ist, die nicht einer besonderen Feststellung bedarf. Dies ergibt sich auch aus Abgrenzungsmerkmalen des § 2 Abs. 1 BewG, die nicht auf Kenntnisse besonderer Wirtschaftskreise abstellen. Nur in Ausnahmefällen wird die Meinung der beteiligten Wirtschaftskreise ermittelt und festgestellt werden müssen. Zum Teil stimmen allerdings die allgemeine Verkehrsanschauung und die Meinung der beteiligten Wirtschaftskreise überein. So stehen z.B. allgemeine Verkehrsanschauungen und DIN-Vorschriften darüber im Einklang, was unter einer Wohnung zu verstehen ist. Die Verkehrsanschauung hat als objektives Abgrenzungsmerkmal den Vorrang vor subjektiven Abgrenzungsmerkmalen; das bedeutet, dass die Verkehrsanschauung für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit maßgebend ist, wenn subjektive Abgrenzungsmerkmale im Widerspruch zur Verkehrsanschauung stehen.