Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
I. Anhaltspunkte für eine Überbewertung
Rz. 91
Die Gründe, weshalb der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erfolgreich und deshalb sinnvoll sein kann, sind vielfältig. Im Allgemeinen kann insb. bei Abweichungen vom "Durchschnittsgrundstück" davon ausgegangen werden, dass der Grundbesitzwert nach den Regelungen des Bewertungsgesetzes vom tatsächlichen gemeinen Wert des Grundstücks abweicht. Dabei sind stets die konkreten wertbeeinflussenden Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Es ist zu beachten, dass bei der Ermittlung des gemeinen Werts nach der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 nicht nur wertmindernde, sondern auch werterhöhende Umstände zu berücksichtigen sind.
Rz. 92
Abweichungen vom Durchschnittsgrundstück, die tendenziell zu einem niedrigeren gemeinen Wert führen können, liegen beispielsweise in folgenden Fällen vor:
- das Grundstück befindet sich in einer schlechten Lage
- die Beschaffenheit des Baugrundes oder der Oberfläche beeinträchtigt die Bebaubarkeit
- extreme Hanglage
- Emissionen von Nachbargrundstücken, wie beispielsweise Rauch, Lärm, Gerüche
- Nachbargrundstücke mit besonderem Gefahrenpotenzial wie beispielsweise Kraftwerke
- Baumängel, -schäden
- Instandhaltungsstau
- wirtschaftliche Überalterung
- unterdurchschnittlicher Erhaltungszustand
- tatsächlich Erträge, die von den marktüblichen Erträgen abweichen
II. Wahl der Bewertungsmethode
Rz. 93
Die Wahl der Bewertungsmethode ist nach § 182 BewG von der nach dem Bewertungsgesetz definierten Grundstücksart abhängig. Mit dieser schematischen Vorgabe sind zwangsläufig alle Bewertungsmethoden ausgeschlossen, die unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Wertermittlungsregelungen zutreffend wären. Eine derart schematisch geregelte Vorauswahl eines inhaltlich möglicherweise völlig unzutreffenden Bewertungsverfahrens kann bereits für sich allein zu Bewertungsunterschieden führen, die den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts angezeigt erscheinen lassen. Bei der Wahl der Bewertungsmethode ist die ImmoWertV wesentlich flexibler. Durch die Einschränkung des Methodenwahlrechts im Bewertungsgesetz werden Spielräume beschnitten, die vom Steuerzahler im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts durch Anwendung der ImmoWertV 2021 vom 14.7.2021 genutzt werden können.
III. Umfang der wirtschaftlichen Einheit
Rz. 94
Der Umfang der bei der steuerlichen Bewertung maßgebenden wirtschaftlichen Einheit bestimmt sich ausschließlich nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (§§ 2, 176 BewG). Im Falle des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts muss die Bewertungseinheit insoweit mit der steuerlich bewerteten wirtschaftlichen Einheit identisch sein.
Rz. 95
Im Regelfall dürfte dies unproblematisch sein. Allerdings muss beispielsweise bei übergroßen Grundstücken besonders darauf geachtet werden, dass die steuerlich bewertete wirtschaftliche Einheit mit der Bewertungseinheit identisch ist, die vom Grundstückssachverständigen bewertet wird.
Rz. 96
Besondere Schwierigkeiten ergeben sich dagegen regelmäßig bei Grundstücken, die mit dinglichen Belastungen wie beispielsweise Nutzungsrechten behaftet sind.
IV. Kurz-Gutachten ungeeignet
Rz. 97
Das Hessische Finanzgericht hat mit Urteil vom 24.9.2013 ein mangelhaftes Kurzgutachten nicht zum Nachweis eines geringeren Verkehrswerts zugelassen. Ausschlaggebend dabei waren Mängel in der formellen Ausgestaltung (z.B. fehlende Lagepläne und Zeichnungen) und eine Reihe sachlicher nicht unerheblicher Mängel. Dabei fehlte insb. die Nachvollziehbarkeit hinsichtlich der angesetzten marktüblich erzielbaren Nettokaltmiete, der Ermittlung der Höhe der Bewirtschaftungskosten bei Ansatz des Ertragswerts, der Höhe der Abrisskosten, der Berechnungen eines besonderen Liquidationswertverfahrens, der Höhe des Abschlags vom Bodenwert sowie der ausschließlichen Anwendung des Ertragswertverfahrens.
Das FG führte aus:
„Um den vorgenannten Anforderungen zu genügen, muss das Gutachten sich beispielsweise an den Wertermittlungsverfahren orientieren, die für das zu bewertende Grundstück geeignet sind. So darf es seine Wertermittlung nicht ohne nähere Überprüfung ausschließlich auf das Ertragswertverfahren stützen. Vielmehr muss es berücksichtigen, dass die Renditeerwartungen potentieller Kaufinteressenten nicht das allein Bestimmende für den Wert eines Grundstücks sind, sondern da...