Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
I. Entstehung
Rz. 264
Der Gesetzgeber hat mit der durch das ErbStRG geänderten Fassung des § 11 Abs. 2 BewG sowie der eingeführten Neufassung der §§ 199 ff. BewG den mit Beschluss des BVerfG vom 7.11.2006 geforderten Ansatz des gemeinen Werts für alle Vermögensgegenstände bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs auch bei den betrieblichen Vermögen realisiert.
Rz. 265
Damit entfallen für Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2008 die Vorschriften des zuvor maßgebenden Stuttgarter Verfahrens. Die Finanzverwaltung hat zur Bewertung des betrieblichen Vermögens für Bewertungsstichtage nach dem 31.12.2008 mit gleich lautenden Erlassen vom 25.6.2009 zur Anwendung der §§ 11, 95 bis 109 und 199 ff. BewG i.d.F. durch das ErbStRG (BV-Erlass vom 25.6.2009) Stellung genommen.
Rz. 266
Mit gleich lautenden Erlassen vom 17.5.2011 hat die Finanzverwaltung die Regelungen zur Anwendung der §§ 11, 95 bis 109 und 199 ff. BewG i.d.F. durch das ErbStRG für Bewertungsstichtage nach dem 30.6.2011 (BV-Erlass vom 17.5.2011) aktualisiert. Die Überarbeitung betrifft im Wesentlichen Änderungen zur Erfassung des Firmenwerts bei der Ermittlung des Substanzwerts und zur Methodenhierarchie (Wahlrecht zugunsten des Steuerpflichtigen).
Rz. 267
Hervorzuheben ist hierbei, dass die Regelungen des BV-Erlasses vom 17.5.2011 auch bei der Ermittlung des gemeinen Werts für Zwecke der Ertragsteuer anzuwenden sind. Mit den ErbStR 2011 und den dazu gehörenden ErbStH wurde der BV-Erlass vom 17.5.2011 in die Richtlinien integriert, wobei die inhaltlichen Regelungen weitgehend übernommen wurden.
Rz. 268
Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch die neuen Bewertungsvorschriften des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach §§ 199 ff. BewG Pauschalierungen enthalten, die den gemeinen Wert allenfalls in einer Bandbreite abbilden werden. Die bedeutendste Pauschalierung dürfte hierbei in dem einheitlich geltenden Kapitalisierungsfaktor liegen. Der Faktor ist somit unabhängig von der Branche des zu bewertenden Unternehmens maßgebend und kann individuelle Risiken nicht abbilden. In gleicher Weise trägt die regelmäßig in der Praxis angewandte vergangenheitsorientierte Ertragsermittlung dazu bei, die Chancen künftiger Erträge eines Unternehmens tendenziell nur sehr eingeschränkt zu erfassen.
Rz. 269
Nach der Gesetzesbegründung bestimmt die Vorschrift des § 199 BewG den Anwendungsbereich des vereinfachten Ertragswertverfahrens. Es soll die Möglichkeit bieten, ohne hohen Ermittlungsaufwand oder Kosten für einen Gutachter einen objektivierten Unternehmens- bzw. Anteilswert auf der Grundlage der Ertragsaussichten nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG zu ermitteln. Dieser Ertragswert ist anzusetzen, wenn er höher ist als der Substanzwert, wobei der Substanzwert der Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge entspricht (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG).
Rz. 270
Wenn das vereinfachte Ertragswertverfahren zu offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt, kann der ermittelte Wert nicht übernommen werden. Der Unternehmens- bzw. Anteilsinhaber kann sich dann darauf nicht berufen, ebenso hat die Finanzverwaltung die Möglichkeit, die Anwendung des Verfahrens abzulehnen. Unzutreffende Ergebnisse können z.B. dann vorliegen, wenn sich im Rahmen von Erbauseinandersetzungen oder aus zeitnahen Verkäufen, auch nach dem Bewertungsstichtag, Erkenntnisse über den Wert des Unternehmens oder der Beteiligung herleiten lassen.
Rz. 271
Die Neuregelungen gelten nicht nur für Anteile an Kapitalgesellschaften, sondern nach § 109 Abs. 1 BewG auch für Gewerbebetriebe und Freiberufler i.S.d. § 96 BewG sowie nach § 109 Abs. 2 BewG für den Wert eines Anteils am Betriebsvermögen einer in § 97 BewG genannten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. Dazu gehört beispielsweise regelmäßig der Wert einer Beteiligung an einer Personengesellschaft (§ 97 Abs. 1 Nr. 5 BewG).
Rz. 272
Der Leitsatz des die Neuregelung des § 11 Abs. 2 BewG auslösenden Beschlusses des BVerfG vom 7.11.2006 lautet:
- „1. Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie an Steuerwerte anknüpft, deren Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen, Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht genügt.
2.
- a) Die Bewertung des anfallenden Vermögens bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage muss wegen der dem geltenden Erbschaftsteuerrecht zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu besteuern, ...