Rz. 1
§ 95 BewG umschreibt den Begriff des (gewerblichen) Betriebsvermögens und regelt dessen Umfang (Bestand). Durch die Verweisung in § 96 BewG auf § 95 BewG entfaltet er Bedeutung auch für den Begriff und Umfang des freiberuflichen Betriebsvermögens und des Betriebsvermögens der Einnehmer einer stattlichen Lotterie, soweit letztere ihre Tätigkeit nicht ohnehin im Rahmen eines Gewerbebetriebs ausüben.
Rz. 2
Zweck und Bedeutung des § 95 BewG liegen also vornehmlich darin, den Umfang der wirtschaftlichen Einheit des Betriebsvermögens (Gewerbebetriebs) festzulegen. Die Bewertung dieser wirtschaftlichen Einheit bestimmt sich sodann im Rahmen der ab 1.1.2009 geltenden Rechtslage grundsätzlich nach dem gemäß den §§ 109 Abs. 1 Satz 2, 11 Abs. 2, 199 bis 203 BewG zu ermittelnden Ertragswert. Wirtschaftsgüter, die kein Betriebsvermögen darstellen und damit nicht zu der in § 95 BewG festgelegten wirtschaftlichen Einheit des Gewerbebetriebs gehören, werden durch diesen Ertragswert (Gesamtwert) nicht mitumfasst. Sie sind deshalb gesondert (selbstständig) zu bewerten und bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer zu erfassen.
Zugleich markiert § 95 BewG den Umfang des nach den §§ 13a, 13b, 13c, 19a, 28 und 28a ErbStG begünstigten (Betriebs-)Vermögens (vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Das BVerfG hat diese "Verschonungsregelungen" (§ 13a ErbStG i.d.F. des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes v. 22.12.2009 und § 13b ErbStG i.d.F. des Erbschaftsteuerreformgesetzes v. 24.12.2008, jeweils i.V.m. § 19 Abs. 1 ErbStG i.d.F. der Bekanntmachung v. 27.2.1997) in seinem Urteil vom 17.12.2014 zwar im Grundsatz für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. Dennoch hat es einige – wichtige – Teile dieser Regelungen, namentlich insb. die zu großzügige Begünstigung großer Unternehmen, die Begrenzung der Lohnsummenkontrolle auf Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern (vgl. § 13a Abs. 1 Satz 4 ErbStG a.F.), die Begünstigung der sog. Cash-GmbH, die gegenwärtige Regelung zum Verwaltungsvermögenstest, soweit sie die absolute Wirkung der 50 %-Grenze (vgl. § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG a.F.) und die Erstreckung der 50 %-Grenze auf die sog. Holdingklausel (§ 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 ErbStG a.F. – Kaskadeneffekt) betrifft, als mit dem GG unvereinbar erklärt mit der Folge, dass die inkriminierten Normen des ErbStG in den zitierten Fassungen insgesamt als verfassungswidrig zu qualifizieren waren, weil eine isolierte Unwirksamkeit der Begünstigungsnormen der §§ 13a und 13b ErbStG a.F. nicht möglich erschien. Im Hinblick auf die mit einer rückwirkenden Nichtigkeitserklärung dieser Normen verbundenen haushaltsrechtlichen Unsicherheiten und fiskalischen Einbußen hatte das BVerfG allerdings die vorübergehende Weitergeltung des verfassungswidrigen ErbStG a.F. in seiner Gesamtheit bis zum 30.6.2016 angeordnet, um so dem Gesetzgeber die Gelegenheit zu geben, bis zum Ablauf dieser Frist eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Neuregelung zu treffen. Im Einzelnen vgl. dazu auch die Urteilsbesprechungen von Stalleiken und Bäuml.
Rz. 3
Allerdings hatte das BVerfG in seinem Urteil v. 17.12.2014 ausdrücklich betont, dass die von ihm angeordnete Fortgeltung der in Rede stehenden verfassungswidrigen Normen des ErbStG a.F. "keinen Vertrauensschutz gegen eine auf den Zeitpunkt der Verkündung (seines) Urteils bezogene rückwirkende Neuregelung begründet, die einer exzessiven Ausnutzung gerade der als gleichheitswidrig befundenen Ausgestaltungen der §§ 13a und 13b ErbStG (a.F.) die Anerkennung versagt."
Rz. 4
Dem Gesetzgeber gelang es nicht, die ihm vom BVerfG aufgegebene Neuregelungsfrist (bis zum 30.6.2016) einzuhalten. Erst mit dem "Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts v. 4.11.2016" (ErbStRG 2016) hat der Gesetzgeber die Vorgaben des BVerfG durch die Neufassungen der §§ 13a, 13b, 13c, 19a, 28 und 28a ErbStG umgesetzt bzw. umzusetzen versucht und zugleich die grundsätzliche rückwirkende Anwendung dieser Neuregelungen auf Erwerbe angeordnet, für die die Erbschaft- und Schenkungsteuer nach dem 30.6.2016 entsteht (vgl. § 37 Abs. 12 ErbStG). Die jedenfalls bislang überwiegenden Stimmen in der Literatur gehen dahin, die Versäumung der vom BVerfG angeordneten Umsetzungsfrist habe dazu geführt, dass das ErbStG ab dem 1.7.2016 bis zum Zeitpunkt der Neuregelung des ErbStG überhaupt nicht anwendbar sei.
Demgegenüber hat das FG Köln in seinem nicht rechtskräftigen Urteil v. 8.11.2018 mit beachtlichen Gründen entschieden, dass für Erbfälle in der Zeit vom 1.7.2016 (= 1. Tag nach Ablauf der Weitergeltungsanordnung in der Entscheidung des BVerfG v. 17.12.2014) bis zur Verkündung des ErbStAnpG 2016 v. 4.11.2016 im BGBl. am 9.11.2016 eine sog. Erbschaftsteuerpause nicht eingetreten sei. Die die Rückwirkung anordnenden Regelungen in Art. 3 ErbStAnpG 2016 und in § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG 2016...