Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
1. Auswertung von Mitteilungen
Rz. 205
Die Erbschaftsteuerstelle muss im Vorfeld einer Steuerfestsetzung prüfen, ob in dem einzelnen Steuerfall eine materielle Steuerpflicht gegeben ist. Dies ist bereits bei Eingang einer Anzeige, aber auch beim Eingang der Steuererklärung erforderlich.
Rz. 206
Dem Erbschaftsteuer-Finanzamt gehen in Sterbefällen Mitteilungen der Standesämter, Anzeigen der Gerichte und Notare über Testamentseröffnungen, Anzeigen von Vermögensverwahren und Vermögensverwaltern, insbesondere von Banken und Versicherungsunternehmen, Mitteilungen der Grundbuchämter und Bewertungsstellen über Grundbuchumschreibungen usw. zu. In Schenkungsfällen sind die Notare verpflichtet, eine Ausfertigung des Schenkungsvertrags dem Erbschaftsteuer-Finanzamt zu übersenden. All diese Anzeigen müssen von der Erbschaftsteuerstelle daraufhin überprüft werden, ob sich im Erb- oder Schenkungsfall eine materielle Steuerpflicht ergibt. Hierzu muss das Erbschaftsteuer-Finanzamt den Wert des Nachlasses bzw. des Schenkungsgegenstands zumindest überschlägig ermitteln, um dann nach Abzug der persönlichen Freibeträge eine Aussage darüber treffen zu können, ob eine steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verbleibt. Für diese Prüfung muss das Finanzamt auch den Wert des übergegangenen Grundstücks bestimmen.
Rz. 207
Solche Angaben können bei der Schenkung eines Grundstücks aus dem übersandten Schenkungsvertrag abgeleitet werden, wenn der Wert des Grundstücks dort für die Gebührenberechnung des Notars angegeben wird. An diesen Grundstückswert wird das Finanzamt bei seiner Prüfung anknüpfen. In vielen Fällen fehlen jedoch konkrete Anhaltspunkte über den Grundbesitzwert. Hier wird die Erbschaftsteuerstelle von einer eigenen Ermittlung des Grundbesitzwerts absehen und stets eine Steuererklärung anfordern, wenn Grundstücke, unabhängig von der Grundstücksart, auf Erwerber der Steuerklasse II oder III übergehen. Denn diesen Erwerbern steht lediglich ein Freibetrag von 20 000 Euro zu, der bei Übergang von Grundbesitz regelmäßig überschritten werden dürfte. Bei Erwerbern der Steuerklasse I wird das Finanzamt vorrangig prüfen, ob bereits ohne Berücksichtigung der übergegangenen Grundstücke, ggf. zusammen mit früheren Erwerben (§ 14 ErbStG), eine materielle Steuerpflicht gegeben ist. Ist dies zu verneinen, muss eine überschlägige Ermittlung des Grundstückswerts vorgenommen werden, um die Steuerrelevanz des Erb- oder Schenkungsfalls abschätzen zu können.
2. Überschlägige Prüfung mit alten Einheitswerten
Rz. 208
Hierzu werden die Finanzämter auf die Einheitswerte 1964 in den alten Bundesländern und die Einheitswerte 1935 im Beitrittsgebiet zurückgreifen und diese anhand von Vervielfältigern auf das durchschnittliche Wertniveau hochrechnen.
Rz. 209
Für Bewertungsstichtage vor dem 1.1.2009 ist die Finanzverwaltung im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die festzustellenden Grundbesitzwerte lediglich ein Wertniveau von rund 80 % des Verkehrswerts bei unbebauten Grundstücken und rund 50 % des Verkehrswerts bei bebauten Grundstücken erreichten.
Rz. 210
Die für diese "Hochrechnung" erforderlichen Vervielfältiger sind in der Praxis der Kaufpreisuntersuchung der Bundesregierung aus dem Jahre 1992 entnommen worden. Letztlich handelt es sich lediglich um Anhaltspunkte, um die Schwelle zur materiellen Steuerpflicht zu prüfen. Nach Jakob kann dabei von folgendem Verhältnis "Einheitswert: Verkehrswert" ausgegangen werden:
Rz. 211
|
Verhältnis |
Einfamilienhäuser im Ertragswertverfahren (im Folgenden: EWV) |
12,5 % |
Einfamilienhäuser im Sachwertverfahren (im Folgenden: SWV) |
20,6 % |
Zweifamilienhäuser (EWV) |
11,7 % |
Zweifamilienhäuser (SWV) |
25,5 % |
Mietwohnungen (EWV) |
11,5 % |
Mietwohnungen (SWV) |
15,6 % |
Geschäftsgrundstücke (EWV) |
15,2 % |
Geschäftsgrundstücke (SWV) |
20,6 % |
Mischgrundstücke unter 50 % betrieblicher Nutzung (EWV) |
13,1 % |
Mischgrundstücke unter 50 % betrieblicher Nutzung (SWV) |
16,8 % |
Mischgrundstücke über 50 % betrieblicher Nutzung (EWV) |
14,8 % |
Mischgrundstücke über 50 % betrieblicher Nutzung (SWV) |
19,0 % |
Eigentumswohnungen (EWV) |
12,7 % |
Eigentumswohnungen (SWV) |
13,2 % |
unbebaute Grundstücke |
9,0 % |
Rz. 212
Hierbei handelt es sich um Durchschnittswerte für die alten Bundesländer, die bereits vor 20 Jahren ermittelt worden sind. Die Durchschnittswerte sind also keineswegs aktuell. Auch die Qualität der Daten ist kaum abzuschätzen, zumal auch die der zugrunde liegende Stichprobe nicht auf ihre statistische Bellastbarkeit untersucht werden kann. Dennoch ist es m.E. nachvollziehbar, dass für eine überschlägige Prüfung der materiellen Steuerpflicht auch derartige grobe Durchschnittswerte durchaus Anhaltspunkte für eine Entscheidung durch das Erbschaftsteuer-Finanzamt liefern können.
Rz. 213
Statt dieser bundesdurchschnittlichen Prozentsätze, umgerechnet in Vervielfältiger, können von den Erbschaftsteuerst...