1. Allgemeines; grundsätzliche Anknüpfung des Bewertungsrechts an die ertragsteuerrechtliche Sichtweise
Rz. 76
§ 109 Abs. 1 Satz 1 BewG verweist zur Frage der Zuordnung von einzelnen Wirtschaftsgütern und sonstigen aktiven und passiven Positionen zum (bewertungsrechtlichen) Betriebsvermögen auf § 95 BewG, der seinerseits auf § 15 Abs. 1 und 2 EStG rekurriert. So heißt es in § 95 Abs. 1 BewG, dass das Betriebsvermögen alle Teile eines Gewerbebetriebs i.S.d. § 15 Abs. 1 und 2 EStG umfasst, die bei der steuerlichen Gewinnermittlung zum Betriebsvermögen gehören.
Rz. 77
Anders als für die Wertermittlung knüpft daher auch das nach Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes 2009 v. 24.12.2008 maßgebende, ab 1.1.2009 anzuwendende Bewertungsrecht für die Ermittlung des Bestands (Umfangs) des Betriebsvermögens grundsätzlich an die ertragsteuerliche Rechtslage an (= Grundsatz der Bestandsidentität zwischen dem Betriebsvermögen im bewertungsrechtlichen Sinne und dem Betriebsvermögen im ertragsteuerrechtlichen Sinne). Gegenüber dem alten, bis 31.12.2008 anzuwendenden Recht ist die Bestandsidentität im neuen Recht sogar ausgeweitet worden. Sie erstreckt sich nunmehr auch auf betriebliche Wirtschaftsgüter, für die sie nach früherem Recht durchbrochen war, wie z.B. in Bezug auf betrieblich genutzte Grundstücke. § 99 Abs. 2 BewG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung, welcher durch das Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 vollständig gestrichen wurde, ordnete nämlich in seinem Satz 1 an, dass der nur teilweise den eigenbetrieblichen Zwecken des Betriebsinhabers dienende und bei isolierter Betrachtung zum Grundvermögen gehörende Grundbesitz nur in vollem Umfang (so bei überwiegender eigenbetrieblicher Nutzung) oder gar nicht (so bei eigenbetrieblicher Nutzung bis zu 50 %) als Betriebsgrundstück zu qualifizieren war.
Rz. 78
Damit wich das Bewertungsrecht von der ertragsteuerrechtlichen Sichtweise ab: Nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zum Ertragsteuerrecht sind Gebäudeteile, die in verschiedenen Nutzungs- und Funktionszusammenhängen stehen, in Abweichung von der Zivilrechtslage als jeweils selbstständige Wirtschaftsgüter anzusehen. Danach kann ein Grundstück mithin nicht nur zur Gänze, sondern auch nur zum Teil dem Betriebsvermögen zuzuordnen sein, so etwa bei einem dreigeschossigen Gebäudegrundstück, dessen Erdgeschoss eigengewerblichen Zwecken des Grundstückseigentümers dient (= notwendiges Betriebsvermögen), das erste Obergeschoss zu fremdgewerblichen Zwecken oder privaten Wohnzwecken vermietet ist (ggf. – nach Wahl des Steuerpflichtigen – gewillkürtes Betriebsvermögen) und das zweite Obergeschoss zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird (= notwendiges Privatvermögen). Der Grund und Boden teilt insoweit das Schicksal der jeweiligen Gebäudeteile, ist also ebenfalls entsprechend aufzuteilen.
Rz. 79
Diese ertragsteuerrechtliche Sichtweise vollzieht das Bewertungsrecht seit der Streichung des § 99 Abs. 2 Satz 1 BewG a.F. mit Wirkung ab 1.1.2009 durch das Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 v. 24.12.2008 nach. Insoweit besteht nunmehr eine vollständige Kongruenz zwischen der ertragsteuerrechtlichen und der bewertungsrechtlichen Lage.
Rz. 80
Der gleichfalls durch das Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 gestrichene § 99 Abs. 2 Satz 3 BewG a.F. sah vor, dass Grundstücke, an denen neben dem Betriebsinhaber noch andere Personen beteiligt waren, auch hinsichtlich der Miteigentumsanteile des Betriebsinhabers nicht als Betriebsgrundstücke eingeordnet werden konnten. Auch in dieser Sachverhaltskonstellation ergab sich eine Abweichung der bewertungsrechtlichen Qualifikation von der ertragsteuerrechtlichen Beurteilung. Denn ertragsteuerrechtlich ist nach ständiger Rechtsprechung und Verwaltungspraxis ein Grundstück oder ein (nach obigen Grundsätzen, vgl. Rz. 78) selbstständiger Grundstücksteil in so viele Wirtschaftsgüter aufzusplitten, wie Grundstückseigentümer vorhanden sind. Durch die Streichung des § 99 Abs. 2 (Satz 3) BewG a.F. durch das Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 mit Wirkung ab 1.1.2009 ist auch diese Divergenz zwischen der bewertungsrechtlichen und der ertragsteuerrechtlichen Beurteilung beseitigt worden. Nunmehr ist also ein mehreren Miteigentümern gehörendes Grundstück, welches dem Gewerbebetrieb nur eines der Miteigentümer dient, auch in bewertungsrechtlicher Sicht mit demjenigen Bruchteil als Betriebsgrundstück zu qualifizieren, welcher der Beteiligungsquote des Betriebsinhabers entspricht.
Rz. 81
Einige Durchbrechungen des Grundsatzes der Bestandsidentität bestehen indessen auch nach der neuen Rechtslage, so namentlich bei
(1) den Gewinnansprüchen gegen eine beherrschte Gesellschaft als sonstigem Abzug bei der beherrschten Gesellschaft (§ 103 Abs. 2 BewG), Näher dazu vgl. § 103 BewG Rz. 996 ff.
(2) den Rücklagen (vgl. § 103 Abs. 3 BewG), Näher dazu vgl. § 103 BewG Rz. 1031 ff.
(3) den Bilanzposten i.S.d. § 137 BewG, Vgl. hierzu die Erläuterungen zu § 137 BewG.
(4) den selbst geschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern de...