Rz. 111

[Autor/Stand] Sind nach Bezugsfertigkeit des Gebäudes Veränderungen eingetreten, die die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes wesentlich verlängert haben, ist gemäß § 259 Abs. 4 Satz 3 BewG von einem der Verlängerung entsprechenden späteren Baujahr auszugehen. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer beeinflussende Aspekte werden weder bei der Ermittlung des Gebäudenormalherstellungswerts noch des Gebäudesachwerts berücksichtigt. Eine Verlängerung der wirtschaftlichen Nutzungsdauer führt dazu, dass bei im allgemeinen gleichbleibenden Normalherstellungskosten die zu berücksichtigenden aufgelaufenen Wertminderungen sich reduzieren, d.h. der zum Hauptfeststellungszeitpunkt maßgebliche Grundbesitzwert relativ höher anzusetzen ist. Grund dafür ist, dass sich die restliche Lebensdauer eines Gebäudes infolge baulicher Maßnahmen kraft gesetzlicher Regelung in § 259 Abs. 4 Satz 3 BewG faktisch verlängert. Für den Fall der Anwendung des § 259 Abs. 4 Satz 3 BewG ist gemäß ausdrücklicher gesetzlicher Vorgabe von einem der Verlängerung entsprechenden späteren Baujahr, sog. fiktives Baujahr, auszugehen. Im Ergebnis führt dies dazu, dass das für den Grundbesitz zu unterstellende Baujahr zeitlich vorzuverlegen ist. Daraus ergibt sich eine höhere steuerliche Belastung des Steuerpflichtigen. Das Vorliegen derartiger, die wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer verlängernden Umstände ist nur in Ausnahmefällen zu unterstellen.

 

Rz. 112

[Autor/Stand] Für die Berücksichtigung einer die Nutzungsdauer verlängernden Maßnahmen ist es gemäß § 259 Abs. 4 Satz 3 BewG erforderlich, dass es zu einer wesentlichen Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer kommt. § 259 BewG bzw. das BewG lassen offen, was unter einer solchen wesentlichen Verlängerung zu verstehen ist. Eine schlüssige Auslegung lässt sich auch nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Tatbestandsmerkmals "wesentlich" heraus vornehmen. In Anlage 38 zum BewG werden für die unterschiedlichen Gebäude wirtschaftliche Nutzungsdauern zwischen 30–80 Jahren genannt. Auf der Grundlage einer systematischen Auslegung kann in diesem Zusammenhang eine wesentliche Verlängerung angenommen werden, wenn es sich die wirtschaftliche Nutzungsdauer um mindestens 10 Jahre erhöht. Verlängerungen der wirtschaftlichen Nutzungsdauern im einstelligen Bereich sind m.E. damit zu vernachlässigen.

 

Rz. 113

[Autor/Stand] Grundsätzlich haben gewöhnliche qualitative Veränderungen an einem Gebäude keine Auswirkungen auf dessen wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer. Dazu gehören insbesondere Maßnahmen der laufenden Instandhaltung (z.B. Auswechslung der Fenster bzw. Fensterrahmen, regelmäßiger Außenanstrich, Wartung Heizung, Abwassersystem bzw. elektrischer Anlagen). Bei darüber hinaus gehenden Maßnahmen kann es im Einzelfall zu einer Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer kommen. Dabei geht es in erster Linie um eine Wartung äußerer Bestandteile zum Erhalt eines Gebäudes. Dies betrifft umfassende bauliche Maßnahmen am Dach, den Außenwänden sowie dem Hausfundament. Anlass dafür kann die damit einhergehende verminderte witterungsbedingte Abnutzung der Immobilie sein. Sofern es sich dagegen bei den Maßnahmen um die Beseitigung von Schäden bzw. Abnutzungen an der Immobilie handelt, kommt eine Verlängerung der Lebensdauer nicht in Betracht.

 

Rz. 114

[Autor/Stand] Generalreparaturen, die lediglich der Wiederherstellung des Normalzustandes dienen, sowie bauliche Maßnahmen an nicht tragenden Bauteilen (z.B. Neugestaltung der Fassade) können keine Verlängerung der ursprünglich angenommenen Lebensdauer bewirken. Abgrenzend dazu ist eine Verlängerung der gewöhnlichen Lebensdauer nur dann anzunehmen, wenn das Gebäude vollständig erneuert oder verbessert worden ist.

 

Rz. 115

[Autor/Stand] Die Finanzverwaltung geht von einer für § 259 Abs. 4 Satz 3 BewG wesentlichen Verlängerung der Nutzungsdauer nur für den Fall einer Kernsanierung aus.[6] Dabei soll das fiktive Baujahr aus Vereinfachungsgründen aus dem Jahr der Kernsanierung abzüglich 10 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes ermittelt werden. Mit dem pauschalen Abschlag in Höhe von 10 Prozent soll nach Ansicht der Finanzverwaltung die teilweise noch verbliebene alte Bausubstanz berücksichtigt werden.[7]

 

Beispiel:

Baujahr 1970, Kernsanierung 2008, wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer 50 Jahre

10 Prozent der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer von 50 Jahren = 5 Jahre

Fiktives Baujahr: 2008 ./. 5 Jahre => 2003

 

Rz. 116

[Autor/Stand] Es ist unerheblich, in welchem zeitlichen Abstand zum Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit des Grundbesitzes bauliche Maßnahmen an der Immobilie durchgeführt werden, die zu einer Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer führen. Die Maßnahme kann zeitlich bereits unmittelbar an den Bezug anschließend erfolgen bzw. Jahre oder Jahrzehnte später. Eine Verlängerung der wirtschaftlichen Gesamtnutzungsdauer ist auch möglich, wenn die entsprechenden baulichen Maßnahmen erst nach Ablauf der ursprünglich zugrun...

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