Rz. 35
§ 5 Abs. 1 ErbStG gewährt dem überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner eine Steuerbefreiung in Höhe der fiktiven Ausgleichsforderung, die er hätte geltend machen können, wenn er nicht Erbe oder Vermächtnisnehmer geworden wäre. Der jeweilige Zugewinn der Ehegatten bzw. Lebenspartner wird dabei nach den bürgerlich-rechtlichen Verkehrswerten ermittelt ohne Rücksicht darauf, ob zumindest für Teile des Endvermögens – und damit für Teile des sich im Nachlass befindlichen Vermögens – Steuerbefreiungen gewährt werden. Dadurch kann es zu einer doppelten Begünstigung von steuerbefreitem Endvermögen kommen. Deshalb sieht die Vorschrift vor, dass die Ausgleichsforderung des überlebenden Ehegatten bzw. Lebenspartners nur in dem Verhältnis des um den Wert des steuerfreien Vermögens geminderten Werts des Endvermögens zum ungeminderten Wert des Endvermögens des Erblassers nicht als Erwerb i.S.d. § 3 ErbStG gilt.
Beispiel 1
Die Eheleute haben bei Eheschließung jeweils kein Anfangsvermögen. Das Endvermögen des Ehegatten 1 (E 1) beläuft sich bei seinem Tod auf 6 Mio. EUR und setzt sich aus nicht befreitem Wertpapiervermögen i.H.v. 5 Mio. EUR und einem nach § 13 Nr. 4b ErbStG begünstigten Familienheim i.H.v. 1 Mio. EUR zusammen. Der erbende Ehegatte 2 (E 2) hat kein Endvermögen.
Der Zugewinn von E 1 beträgt 6 Mio. EUR, der Zugewinn von E 2 0 EUR, so dass sich die zivilrechtliche Zugewinnausgleichsforderung des E 2 auf 3 Mio. EUR beläuft. Nach § 5 Abs. 1 Satz 6 ErbStG gehören jedoch nur 3 Mio. EUR × 5 Mio. EUR (Wert des Endvermögens von 6 Mio. EUR gemindert um das steuerfreie Vermögen von 1 Mio. EUR) / 6 Mio. EUR (ungeminderter Wert des Endvermögens) = 2,5 Mio. EUR nicht zum Erwerb i.S.d. § 3 ErbStG.
Rz. 35.1
Abs. 1 Satz 5 und Satz 6 können parallel zur Anwendung kommen, wenn es bei der Ermittlung des Endvermögens sowohl zu einer Abweichung von Steuer- zu Verkehrswerten kommt als sich auch steuerfreies Vermögen im Endvermögen befindet. Satz 6 muss systematisch vor der Regelung nach Satz 5 angewandt werden, weil sich Satz 6 auf die Ermittlung der Bereicherung bezieht, während Satz 5 eine Komponente der Ermittlung der steuerfreien Zugewinnausgleichsforderung betrifft, welche erst im Rahmen der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs abgezogen wird.
Rz. 35.2
Die Vorschrift ist kritisch zu sehen, weil sie über das erklärte Ziel der Vermeidung einer Doppelbegünstigung in vielen Fällen hinausgehen wird. Das wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sich im Endvermögen auch steuerbefreites Vermögen befindet, welches bereits bei Begründung des Güterstandes und somit im Anfangsvermögen vorhanden war. In diesen Fällen wird nämlich der steuerbefreite Teil des Endvermögens in voller Höhe abgezogen und nicht nur in der Höhe, in der eine Wertsteigerung und damit Zugewinn vorliegt.
Abwandlung
Bei Begründung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft besaß E 1 bereits das Familienheim mit einem Verkehrswert (= Steuerwert) von 500 EUR. Im Zeitpunkt des Todes des E 1 betrug der Wert des Familienheims 1 Mio. EUR. Für E 1 ergibt sich bei einem Anfangsvermögen von 500 EUR und einem Endvermögen von 6 Mio. EUR ein Zugewinn von 5,5 Mio. EUR und somit eine zivilrechtliche Ausgleichsforderung des E 2 von 2,75 Mio. EUR.
Davon fallen nach § 5 Abs. 1 Satz 6 ErbStG nur (2,75 Mio. EUR × 5 Mio. EUR / 6 Mio. EUR =) 2.291.667 EUR nicht in den steuerlichen Erwerb nach § 3 ErbStG.
Entgegen dem Wortlaut, aber dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend, dürfte das Endvermögen nicht um den gesamten Wert des steuerfreien Vermögens gemindert werden, sondern nur insoweit, als dieses befreite Vermögen Zugewinn enthält. Danach betrüge die nicht zum Erwerb nach § 3 ErbStG gehörende Ausgleichsforderung (2,75 Mio. EUR × 5,5 Mio. EUR / 6 Mio. EUR =) 2.520.883 EUR. Der steuerpflichtige Erwerb ist somit entgegen dem Gesetzeszweck um (2.520.883 EUR ./. 2.291.667 EUR =) 229.216 EUR zu hoch.
Rz. 36
Wird eine Steuerbefreiung nachträglich gemindert oder entfällt sie rückwirkend und wird die Steuerfestsetzung deshalb nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert, wird dabei auch die abzugsfähige fiktive Zugewinnausgleichsforderung neu berechnet. Dasselbe gilt für den umgekehrten Fall, dass eine Steuerbefreiung rückwirkend erhöht oder erstmalig gewährt wird.