Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
1. Abkehr vom "Stuttgarter Verfahren"
Rz. 134
Mit dem Verweis des § 157 Abs. 4 BewG auf die Wertermittlung nach § 11 Abs. 2 BewG gibt der Gesetzgeber das vormals für Anteile an Kapitalgesellschaften geltende sog. Stuttgarter Verfahren als Bewertungsmethode auf. Das Stuttgarter Verfahren war eine Übergewinnmethode, bei der zur Ermittlung des Anteilswerts neben dem Vermögenswert der Kapitalgesellschaft eine Ertragskomponente in der Höhe erfasst wurde, soweit die Verzinsung des eingesetzten Kapitals über die in den ErbStR 2003 normierte Normalverzinsung von 9 % hinausging.
Rz. 135
Eine gewichtige Kritik an den Ergebnissen des Stuttgarter Verfahrens betrifft die Tatsache, dass die einzelnen Vermögensgegenstände zur Ermittlung des Vermögens – von Ausnahmen abgesehen – mit den Steuerbilanzwerten anzusetzen waren. Das Verhältnis von Vermögen zum Stammkapital der Kapitalgesellschaft ergab den Vermögenswert. Dies führte dazu, dass die in den Vermögensgegenständen ruhenden stillen Reserven nicht erfasst wurden. Dies wurde auch nicht durch die mit dem Faktor 5 zu kapitalisierenden ("Über-")Erträge ausgeglichen, weil die Grundannahmen des Verfahrens relativ pauschalierend waren. Bei entsprechend schlechter Ertragslage konnten die Pauschalregelungen – dazu gehörte auch der Renditeabschlag von bis zu 30 % – dazu führen, dass der Anteilswert weniger als 50 % des mit Steuerbilanzwerten ermittelten Vermögens der Kapitalgesellschaft betrug.
2. Ertragsabhängige Unternehmensbewertung
Rz. 136
Die Neufassung des § 11 Abs. 2 BewG i.d.F. des Erbschaftsteuerreformgesetzes regelt die Ermittlung des gemeinen Werts von Anteilen an Kapitalgesellschaften, die nicht unter § 11 Abs. 1 BewG fallen. Das bedeutet, der Anteilswert wird nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 BewG ermittelt, wenn die Anteile nicht an der Börse gehandelt werden.
Rz. 137
Die Wertermittlung richtet sich nach dem Willen des Gesetzgebers nunmehr nach den allgemeinen Methoden einer ertragsabhängigen Bewertung. Daneben sind auch andere anerkannte übliche Methoden zulässig, die auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nicht steuerliche Zwecke angewandt werden. Sowohl die Bewertung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft als auch nach anderen anerkannten Bewertungsmethoden, die allgemein üblich sind. Insoweit handelt es sich also nicht um rein steuerliche Unternehmensbewertungen.
Rz. 138
Für steuerliche Zwecke bietet der Gesetzgeber in § 11 Abs. 2 Satz 4 BewG durch den Verweis auf §§ 199 bis 203 BewG ein vereinfachtes Ertragswertverfahren an, das mit den bisherigen vorsichtigen steuerlichen Bewertungsmethoden keine wesentlichen Gemeinsamkeiten mehr aufweist. Vielmehr verlangt das vereinfachte Ertragswertverfahren die Kapitalisierung des zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrags mit einem gesetzlich festgelegten Kapitalisierungsfaktor (§ 203 BewG). Zunächst hing der Faktor vom Basiszinssatz ab, der zu Beginn des Kalenderjahrs vom BMF im Bundessteuerblatt zu veröffentlichen war. In der Praxis wurden zum Teil Überbewertungen befürchtet, wobei belastbare empirische Untersuchungen fehlen. Seit dem 1.7.2016 gilt kein jährlich wechselnder Faktor mehr. Vielmehr beträgt der Faktor seitdem einheitlich 13,75; s. Rz. 82).
Rz. 139
Unabhängig von der – durchaus kontrovers diskutierten – Wahl des maßgebenden Bewertungsverfahrens ist mindestens der sich nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG ergebende Substanzwert anzusetzen, der als Mindestwertansatz nicht unterschritten werden darf. Der Substanzwert ergibt sich aus der Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge der Gesellschaft. Dabei sind § 99 BewG (Ansatz der Betriebsgrundstücke) und § 103 BewG (Regelung zur Abzugsfähigkeit von Schulden) zu berücksichtigen.
Rz. 140
Das vereinfachte Ertragswertverfahren enthält eine Vielzahl von Typisierungen. Schwerwiegend ist die seit dem 1.1.2016 undifferenzierte Maßgeblichkeit eines einheitlichen Vervielfältigers von 13,75. Aber auch zuvor war die Tatsache, dass unabhängig von der Branche des jeweiligen Unternehmens von einem einheitlichen (Risiko-) Zuschlag von 4,5 % ausgegangen wurde, eine sehr weitgehende Typisierung. Dies kann dazu führen, dass die Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens erheblich von den Bewertungsergebnissen allgemeiner Bewertungsmethoden abweicht.
Rz. 141
In der Praxis existieren verschiedene Bewertungsmethoden zur Ermittlung von Unternehmenswerten. Zu den bekannten Verfahren gehören beispielsweise IDW S1 oder Discounted-Cashflow-Methoden. Daneben existieren für viele freiberufliche Tätigkeiten so genannte Multiplikatorenverfahren, mit denen der gemeine Wert einer freiberuflichen Praxis ermittelt werden kann. Auch für Handwerksberufe sind von den Handwerkskammern individuelle Methoden zur Ermi...