I. Einordnung der Vorschrift
Rz. 342
Grundsätzlich entsteht die Schenkungsteuer mit Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG), speziell bei aufschiebend bedingt, betagt oder befristeten Erwerben und dem Erwerb aufschiebend bedingter, betagter oder befristeter Ansprüche im Zeitpunkt des Eintritts des jeweils maßgebenden Ereignisses (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a/§ 1 Abs. 2 ErbStG). Realisiert der Erwerber die ihm zugedachte Bereicherung vor diesem Moment, z.B. durch entgeltliche Übertragung seines (künftigen) Leistungsanspruchs aus formgültiger Schenkung (Forderungsverkauf mit Abtretung; §§ 453/433 ff., 398 BGB) oder durch entsprechenden Verzicht (Schulderlass, § 397 Abs. 1 BGB), wird er bereichert ohne dass es zum Vollzug des Schenkungsversprechens kommt. Dem Gesetzgeber erschien diese vorzeitige Bereicherung besteuerungswürdig. Mit § 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG erlaubt er den Zugriff der Schenkungsteuer – allerdings nicht in vollem Umfang.
II. Zur Nicht-/Anwendung der Vorschrift
Rz. 343
Die Intention des historischen Gesetzgebers lässt sich anhand der zugänglichen Materialien leider nicht ermitteln. Dass eine Gesetzeslücke geschlossen werden sollte, ist weder der Gesetzesbegründung noch den späteren Erörterungen im Finanzausschuss explizit zu entnehmen und daher nicht mehr als eine bloße Vermutung. Der Gesetzentwurf verweist zur "sachlichen Berechtigung" nur auf die Erläuterungen zu § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG, wonach diese Norm jedoch der nachträglichen Legalisierung einer früheren RFH-Rechtsprechung diente. Solche Zwecke verfolgte der Gesetzgeber mit § 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG sicherlich nicht.
Rz. 344
Lediglich zum Zeitpunkt der Steuerentstehung wird man mittelbar fündig. Für die ausdrücklich als Parallelvorschrift bezeichnete Norm des § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG schuf der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. g ErbStG eine spezielle Regelung. Nichts spricht dagegen, § 1 Abs. 2 ErbStG sogar dafür, diese Vorschrift in einschlägigen Fällen entsprechend und vorrangig vor § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG anzuwenden (s. auch Rz. 221, 249, 287 u. 309). Der Steueranspruch entsteht daher mit Abschluss der, ggf. konkludent zustande kommenden, Abfindungsvereinbarung. Erhält der Bedachte allerdings wiederum nur künftig erfüllbare Ansprüche, ist an § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ErbStG zu denken (s. Rz. 341).
Rz. 345
In wenigen Gerichtsentscheidungen wird § 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG, umkehrschließend, lediglich als gesetzlicher Beleg dafür zitiert, dass der Erwerb noch nicht erfüllbarer Leistungsansprüche noch keine steuerbare Bereicherung des Begünstigten bewirkt. Insbesondere gilt dies für sog. Anwartschaftsrechte und erst recht für künftige Erwerbsaussichten oder bloße Erwerbschancen (s. auch Rz. 21). Konsequent ist der Verzicht auf solche unvollständigen Rechtspositionen, ebenso wie ihre Abtretung, auch (noch) keine bereicherungsmindernde Gegenleistung (§ 7 Abs. 3 ErbStG; s. auch Rz. 404, 407 ff.). In der Praxis jedoch läuft die Vorschrift seit nunmehr fast 50 Jahren ins Leere; bislang wurden keine Präzedenzfälle publik, in denen es tatsächlich zu einer Besteuerung kam. Damit droht ihr allmählich ein ähnliches Schicksal wie der bald 100 Jahre schlummernden Norm des § 7 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (s. Rz. 247).
Rz. 346
Als Schenkung gilt die vorzeitig gewährte "Abfindung für aufschiebend bedingt, betagt oder befristet erworbene Ansprüche". Ausdrücklich ausgenommen sind Fälle, die nach der gleichzeitig kodifizierten Norm des § 3 Abs. 2 Nr. 5 ErbStG der Erbschaftsteuer unterliegen. Seinem Wortlaut nach erfasst der Fiktionstatbestand den entgeltlichen Erlass, vielleicht auch die Veräußerung solcher Forderungen. Nicht subsummierbar sind daher der abfindungslose Verzicht auf derartige Ansprüche oder deren unentgeltliche Abtretung an den Schenker. Nicht tatbestandsmäßig sind ebenso Gegenleistungen für die Aufgabe/Übertragung unbedingter (unbetagter/unbefristeter) Ansprüche. Konsequent scheitert somit die Ausdehnung der Norm auf offene, wirksam begründete Schenkungsforderungen (§ 518 Abs. 1 BGB).
Rz. 347
§ 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG birgt ein beachtliches Steuerpotenzial (s. Rz. 352 ff.), das zu heben Aufgabe der Schenkungsteuerstellen ist (§ 85 Satz 1 AO). Von Anfang an hatte die Finanzverwaltung jedoch daran kein besonderes Interesse; noch immer fehlen konkrete Anwendungsweisungen. Auch die potenziellen Steuerpflichtigen warten damit auf die nötige Orientierung, die eine offizielle Interpretation bieten würde. Allein der Blick in die – spekulative – Kommentarliteratur ist wenig hilfreich und zeigt allenfalls, dass keine Rechtssicherheit existiert (zur Anzeigepflicht der Notare s. § 34 ErbStG Rz. 11).
Rz. 348
§ 7 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG setzt die Schenkungsteuerbark...