Dipl.-Finw. (FH) Wilfried Mannek
1. Änderung nach den Vorschriften der Abgabenordnung
Rz. 48
In der Praxis werden Grundstücke, die durch Erbanfall erworben wurden, häufig erst veräußert, nachdem die Bewertungsstelle des Finanzamts den Feststellungsbescheid über den Grundbesitzwert erteilt hat und dieser bestandskräftig geworden ist. Sofern der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommene Kaufpreis für das Grundstück niedriger ist als der vom Finanzamt festgestellte Grundbesitzwert, konnte der Steuerpflichtige bislang erfolgreich eine Berichtigung der Feststellung nach § 173 AO wegen neuer Tatsachen beantragen. Dies ergab sich aus dem Erlass des bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 19.6.2001, unter Bezug auf eine Entscheidung der für die Abgabenordnung zuständigen Referatsleiter der Länder.
Der Erlass vom 19.6.2001 hatte in der Praxis erhebliche Bedeutung und folgenden Wortlaut:
„Bei der Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer oder auch Grunderwerbsteuer kann der Steuerpflichtige nach Feststellung des Grundstückswerts nachweisen, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger als der vom Finanzamt ermittelte Wert ist (§ 145 Abs. 3 Satz 3 und § 146 Abs. 7 BewG). Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann nach R 163 Satz 3 ErbStR auch ein niedrigerer Kaufpreis des Grundstücks dienen, wenn er im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommen ist.
Nach Auffassung der AO-Referatsleiter der Länder erfüllt der Nachweis eines niedrigeren Verkaufserlöses innerhalb des genannten Zeitraums die Voraussetzungen für eine Änderung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheides nach § 173 AO. Zwar ist der Wert eines Gegenstandes keine Tatsache i.S. des § 173 AO, da er nur das Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den wertbegründenden Eigenschaften ist. Diese wertbegründenden Eigenschaften sind ihrerseits aber derartige Tatsachen. Bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem Grundstückswert liegenden Kaufpreis ist der niedrigere Kaufpreis eine derartige wertaufhellende Tatsache bzw. ein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert.”
Eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen war jedoch nur bei einem nachträglich bekannt gewordenen Kaufpreis möglich. Legte der Steuerzahler dagegen ein Gutachten eines Sachverständigen erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vor, war eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen ausgeschlossen.
Rz. 48.1
Nachdem das FG Baden-Württemberg mit Urteil vom 25.6.2012 entschieden hat, dass ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommener Kaufpreis für das bereits bewertete Grundstück keine Änderungsmöglichkeit des Feststellungsbescheids nach § 173 AO auslöst, hat sich die Finanzverwaltung mit der Problematik erneut auseinandergesetzt.
In dem Fall, der der Entscheidung des FG Baden-Württemberg zugrunde lag, hat das Finanzamt – abweichend von der grundsätzlichen Auffassung der Finanzverwaltung – die Anwendung des § 173 AO verneint. Der Steuerzahler hat sich nicht auf die ihn begünstigende Auffassung der Finanzverwaltung berufen, sondern den Klageweg beschritten. Das FG Baden-Württemberg hat letztlich die Auffassung des Finanzamts bestätigt und eine Berichtigung wegen neuer Tatsachen abgelehnt. Danach sei mit der Formulierung "nachträglich bekannt werden" in § 173 Abs. 1 AO gemeint, dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden ("existent") und lediglich dem zuständigen Finanzamt unbekannt gewesen sein muss. Komme ein Kaufvertrag, der einen niedrigeren Grundstückswert nachweisen soll, erst nach Erlass des Feststellungsbescheides über den Wert des Grundstückes zustande, ist dieses Beweismittel nicht i.S.d. § 173 AO nachträglich bekannt geworden.
Der Orientierungssatz des Urteils des FG Baden-Württemberg vom 25.6.2012 lautet:
- Der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts als den nach §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelten Wert kann im Falle der Bewertung wirtschaftlicher Einheiten des Grundvermögens für Zwecke der Erbschaftsteuer bis zu Bestandskraft des Bescheides geführt werden.
- Wird der niedrigere gemeine Wert jedoch erst nach der Bestandskraft des Feststellungsbescheides geltend gemacht, kann dieser nur berücksichtigt werden, wenn die Voraussetzungen einer Änderung des bestandskräftigen Verwaltungsaktes nach den Änderungsvorschriften der AO erfüllt sind.
- Ein Kaufvertrag kann Beweismittel für den Wert eines Grundstücks sein.
- Die Formulierung "nachträglich bekannt werden" in § 173 Abs. 1 AO meint, dass sowohl die entsprechende Tatsache als auch das betreffende Beweismittel zum Zeitpunkt des Erlasses des zu ändernden Bescheides bereits entstanden ("existent") und lediglich dem zuständigen Finanzamt unbekannt gewesen sein muss. Kommt ein Kaufvertrag, der einen niedrigeren Grundstückswert nachweisen soll, erst nach Erlass des Feststellungsbescheides über den Wert des Grundstückes zustande, ist dieses Beweismittel nicht i.S. des § 173 AO...