Hans-Werner Högl, Friedemann Kirschstein
1. Grundsätze
Rz. 60
Da das Erbschaftsteuergesetz die Bereicherung des Erwerbers erfassen will, geht es vom Nettoprinzip aus (s. Rz. 3). Abzugsfähig sind demnach alle Erwerbsschmälerungen bzw. Schulden und Lasten. Der Begriff Nachlassverbindlichkeiten ist insofern zu eng gefasst (s. Rz. 39), zumal Erwerbsschmälerungen auch bei du Schenkungen unter Lebenden zu beachten sind (§ 1 Abs. 2 ErbStG), z.B. Erwerbsnebenkosten. Das Gesetz gliedert sie in Erblasserschulden Nr. 1, Erbfallschulden Nr. 2 und sonstige Nachlassverbindlichkeiten Nr. 3.
Eine mehrfache Berücksichtigung von Schmälerungen des Erwerbs ist ausgeschlossen z.B. bei Belastung von Erwerbsgegenständen wie einem Nießbrauch an einem Grundstück, der bereits bei der Bewertung eines Grundstücks berücksichtigt wurde (s. § 10 Abs. 6 Satz 6 ErbStG Rz. 196 ff.).
Ebenso dürfen Schulden, die bereits bei der Bewertung des Betriebsvermögens berücksichtigt wurden, nicht nochmals nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abgezogen werden (s. Rz. 88).
2. Erblasserschulden (Abs. 5 Nr. 1)
a) Vom Erblasser herrührend
Rz. 61
Erblasserschulden sind die vom Erblasser "herrührenden" Schulden, also solche, die nach § 1922 BGB i.V.m. § 1967 Abs. 2 BGB, § 45 Abs. 1 AO als Nachlassverbindlichkeiten auf den oder die Erben übergehen.
Auch bei Erwerbern, die keine Erben sind, können solche Schulden als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden. Dies folgt aus § 10 Abs. 1 Satz 2 ErbStG, der den Abzug von Nachlassverbindlichkeiten nicht auf bestimmte Erwerbsvorgänge des § 3 ErbStG beschränkt. Vom Erblasser herrührende Schulden sind als Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG jedoch nur abzugsfähig bei dem Erwerber, der als Schuldner zivilrechtlich für sie nach § 1967 Abs. I BGB haftet. Für Erblasserschulden haftet bzw. haften gemäß § 1967 BGB allein der oder die Gesamtrechtsnachfolger, nicht jedoch der Vermächtnisnehmer.
Erbfallkosten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG. können nach Auffassung des Finanzgericht München im Urteil vom 20.1.2021 als solche nur vorliegen, wenn die Erlangung des Vermächtnisgegenstands entscheidend für die Entstehung der Kosten gewesen ist. Der Abzug solcher Kosten setze weder deren Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit noch eine Rechtspflicht zur Kostentragung voraus, jedoch sei ein unmittelbarer-(finaler) Zusammenhang der entstehenden Kosten mit einem der in § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG genannten Zwecke erforderlich. Ein solcher sei nur dann gegeben, wenn der berücksichtigungsfähige Zweck – hier die Erlangung des Vermächtnisgegenstands – entscheidend für die Entstehung der Kosten war (sog. Erwerbsaufwand s. Rz. 130 ff.).
Kosten, die nur gelegentlich des erbschaftsteuerrechtlichen Erwerbs, entstehen, stellen keine Erbfallkosten für den Vermächtnisnehmer dar.
Der Bezugsberechtigte einer Lebensversicherung, der gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG von Todes wegen erwirbt, kann deshalb auch vom Erblasser herrührende Schulden abziehen. Die frühere Auffassung des BFH v. 17.5.2000 ist damit überholt.
Nach dem Erbfall entstandene Verbindlichkeiten fallen nicht darunter, z.B. Brandschäden am Gebäude des Erblassers, in dem dieser verbrannte (s.a. Rz. 85 zu aufgestautem Reparaturbedarf). Aufwendungen zur Beseitigung von erst nach dem Erbfall in Erscheinung getretenen Schäden an geerbten Gebäuden, deren Ursachen vom Erblasser gesetzt wurden, sind keine Nachlassverbindlichkeiten (s.a. Rz. 85).
Die Kosten für die Räumung einer geerbten Eigentumswohnung waren laut Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg nicht abzugsfähig, es sei denn der Erblasser war gegenüber dem Vermieter bereits zur Räumung verpflichtet. Mit Urteil vom 14.10.2020 hat der BFH im Revisionsverfahren entschieden, dass darüber hinaus jedoch Nachlassregelungskosten nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG vorliegen können, wenn die Auflösung des Haushalts des Erblassers nicht zuletzt darauf gerichtet war, mit der persönlichen Habe des Erblassers zweckentsprechend zu verfahren, z.B. ob Herausgabepflichten Dritter (z.B. von Vermächtnisnehmern) zu bedienen sind oder in welcher Art und durch wen der Haushalt weiter verwendet werden kann). Diese Maßnahmen gehören zur tatsächlichen Feststellung des Nachlasses und beruhen unmittelbar auf dem Erbfall (s. Rz. 125, 145 ff.).
b) Rechtlich bereits bestehende Verpflichtungen
Rz. 62
Mit Urteil v. 27.6.2007 – II R 30/05 hatte der BFH sein Urteil v. 9.11.1994 – II R 110/91 bekräftigt, wonach der Abzug rechtlich bestehende Verpflichtungen voraussetzt. Mit Urteil vom 4.7.2012 – II R 15/11 scheint der BFH nunmehr die rechtliche Entstehung nur noch als hinreichendes, aber nicht notwendiges Tatbestandsmerkmal anzusehen (s. auch Rz. 73). Das FG Nürnberg hat demnach mit Urteil vom 13.5.2015 Erschließungsbeiträge, die den Erblasser als Grundstückseigentümer trafen, als Nachlassverbindlichkeiten anerkannt, obwohl im Zeitpunkt des Erbfalls noch keine Beitragsbescheide ergangen waren. Es reicht aus, dass der Erblasser di...