1. Zivilrecht
Rz. 340
Der Erblasser kann einen Erben in der Weise einsetzen, dass er erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe geworden ist (§ 2100 BGB). Dieser Erbe wird Nacherbe genannt, der andere Erbe, der ein Erbe auf Zeit ist, wird Vorerbe genannt. Die Vor- und Nacherbschaft kann sich auf zwei Erben beschränken, sie kann aber auch mehrfach gestuft sein, so dass es mehrere Vorerben gibt.
Für die Einsetzung des Vorerben gelten die allgemeinen Regeln. Vorerbe kann daher nur sein, wer im Erbfall lebt (§ 1923 BGB). Für die Einsetzung des Nacherben gilt grundsätzlich das Gleiche (§ 2108 Abs. 1 BGB). Aber es genügt, dass der Nacherbe den Erbfall erlebt. Den Nacherbfall muss er hingegen nicht erleben. Stirbt er vor dem Nacherbfall, geht sein Erbrecht Nacherbenanwartschaft genannt auf seine Erben über, wenn der Erblasser nichts anderes bestimmt hat (§ 2108 Abs. 2 BGB). Außerdem kann er ab dem Erbfall über sein Anwartschaftsrecht auch unter Lebenden verfügen, indem er es abtritt – wiederum vorausgesetzt, der Erblasser hat nichts anderes bestimmt. Der Erwerber tritt an seine Stelle und wird im Nacherbfall Erbe, vorbehaltlich der Rechte der Ersatznacherben. Die Abtretung bedarf nach § 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB der notariellen Form.
Ein Verzicht des Nacherben auf seine Rechte zugunsten des Vorerben wird i.d.R. als – nach §§ 2033, 2371 BGB formbedürftige – Übertragung des Anwartschaftsrechts angesehen. Der Verzicht bzw. die Übertragung ist von der Ausschlagung der Nacherbeneinsetzung (Rz. 320) zu unterscheiden. Der Verzicht kann – ebenso wie die Übertragung – an Dritte oder auch den Vorerben erfolgen und ist nach §§ 2033, 2371 BGB formbedürftig. Wird die Anwartschaft auf den Vorerben übertragen, so wird dieser zum Vollerben. Die Übertragung der Anwartschaft kann gegen Entgelt oder unentgeltlich erfolgen; auch der Verzicht auf die Anwartschaft ist unentgeltlich oder gegen Zahlung einer Abfindung denkbar. Ein Motiv für eine derartige Vorgehensweise kann darin begründet sein, dass der Nacherbe nicht bereit ist abzuwarten, bis der Nacherbfall eintritt. Durch die Übertragung bzw. den Verzicht gelangt er zwar nur an eine Abfindung, allerdings kann dies im Einzelfall für ihn dennoch interessant sein.
2. Steuerrecht
a) Steuertatbestand
Rz. 341
Das Entgelt für die Übertragung der Anwartschaft eines Nacherben ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG steuerbar. Für die Steuerbarkeit ist unerheblich, ob der Nacherbe die Anwartschaft auf den Vorerben oder einen Dritten überträgt.
Verzichtet der Nacherben auf die Nacherbschaft gegen Abfindung erfolgt die Besteuerung beim Nacherben ebenfalls gem. § 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG.
b) Besteuerung des Nacherben
Rz. 342
Der Nacherbe muss das Entgelt für die Übertragung versteuern (§ 3 Abs. 2 Nr. 6 ErbStG), gleichgültig, auf wen er sein Anwartschaftsrecht überträgt. Auch wenn der Erwerb zwischen dem Nach- und Vorerben abgewickelt wird, gilt das vom Nacherben vereinnahmte Entgelt als vom Erblasser von Todes wegen zugewendet. Maßgeblich für die Besteuerung des Entgelts, das an die Stelle der Anwartschaft tritt, ist also das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser. Dies kann – je nach der für den Nacherben anzuwendender Steuerklasse – günstig oder nachteilig sein.
Die Steuer entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. i ErbStG im Zeitpunkt der Übertragung der Anwartschaft bzw. im Verzichtsfall mit Wirksamwerden desselben.
c) Besteuerung des Erwerbers des Anwartschaftsrechts
Rz. 343
Im Nacherbfall tritt der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbare Erwerb in der Person des Erwerbers des Anwartschaftsrechts ein, der das (bereits bezahlte) Entgelt für den Erwerb des Anwartschaftsrechts als Erwerbskosten abziehen kann (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG). Die Steuerklasse bestimmt sich nach dem Verwandtschaftsverhältnis des Erwerbers zum Vorerben oder auf Antrag entsprechend § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG nach dem Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser.
Leistet der Vorerbe die Abfindung, ist streitig, ob er diese abziehen kann. Nach Ansicht des BFH liegt beim Vorerben kein zusätzlicher Erwerb vor, so dass ein Abzug ausscheide. Denn der Erwerb der Stellung als Vollerbe durch den Vorerben beruhe nicht auf dem Erbfall, sondern auf einer von den Anordnungen der letztwilligen Verfügung des Erblassers unabhängigen Vermögensdisposition des Vorerben, um die ihm vom Erblasser eingeräumte vermögensrechtliche Stellung durch (entgeltliches) Rechtsgeschäft zu erweitern. Die Zahlungen seien ausgelöst durch einen Vermögensübergang, der nicht zwischen Erblasser und Vorerbe, sondern zwischen dem Nacherben und dem Vorerben stattgefunden hätte. Zudem würden sie sich auch auf den Erwerb eines anderen Vermögensgegenstandes beziehen sich als denjenigen, der als Erwerb von...