Hans-Werner Högl, Friedemann Kirschstein
A. Grundaussagen der Vorschrift
Rz. 1
Mit § 10 ErbStG beginnt der zweite Abschnitt des Gesetzes. Dieser umfasst unter dem Stichwort Wertermittlung die §§ 10 bis § 13 ErbStG. In Abs. 1 sind die Grundsätze enthalten, nach denen der steuerpflichtige Erwerb ermittelt wird. Vom Bruttovermögensanfall werden die gesetzlich anerkannten Abzugsposten nach § 10 Abs. 3 bis 9 ErbStG abgezogen, so dass nur der durch den Vermögensübergang ausgelöste Nettovermögenszuwachs der Besteuerung unterliegt (sog. Bereicherungsprinzip).
Von diesem Nettobetrag (sog. Nettobetrag I) werden die Befreiungen nach den §§ 5, 13, 13a, 13c und 13d ErbStG und die Freibeträge nach §§ 16, 17, 18 ErbStG abgezogen (sog. Nettobetrag II). Soweit sich ein Vermächtnis auf steuerbefreite Gegenstände bezieht, steht ein persönlicher Freibetrag, der dem Erwerber etwa von Hausrat nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gewährt wird, dem Abzug (mit dem gemeinen Wert) nicht entgegen. Dass die Steuerbefreiung der Zugewinnausgleichsforderung nach § 5 ErbStG und die persönlichen Freibeträge außerhalb des 2. Abschnitts über die Wertermittlung geregelt sind, beruht allein auf der Sachnähe zu den dort geregelten Themen.
In Abs. 2 wird der Erwerb geregelt bei zusätzlicher Zuwendung des zu entrichtenden Erbschaft- oder Schenkungsteuerbetrags.
In Abs. 3 wird klargestellt, dass infolge des Anfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit (sog. Konfusion) oder von Recht und Belastung (sog. Konsolidation) bürgerlich-rechtlich erloschene Rechtsverhältnisse als nicht erloschen gelten.
Abs. 4 bestimmt, dass das Anwartschaftsrecht des Nacherben entgegen § 2108 BGB nicht zu seinem Nachlass gehört.
Die Abs. 5 bis 9 regeln, was gesetzlich vom Erwerb abzugsfähig bzw. nicht abzugsfähig ist.
Abs. 10 behandelt die Sonderfragen der Bewertung und Eingrenzung von Abfindungsansprüchen geerbter Gesellschaftsanteile.
Rz. 2
In R E 10.1 Abs. 1 ErbStR 2019 ist das Schema aufgeführt, nach dem der steuerpflichtige Erwerb grundsätzlich zu ermitteln ist.
R E 10.1 Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs und der Erbschaftsteuer
1. |
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Steuerwert des Wirtschaftsteils des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens |
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+ |
Steuerwert des Betriebsvermögens |
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+ |
Steuerwert der Anteile an Kapitalgesellschaften |
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Zwischensumme |
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– |
Befreiungen nach §§ 13a, 13c ErbStG |
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– |
Befreiungen nach § 13 Absatz 1 Nummer 2 und 3 ErbStG |
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– |
Befreiung nach § 13d ErbStG |
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+ |
Steuerwert des Wohnteils und der Betriebswohnungen des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens |
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– |
Befreiungen nach § 13 Absatz 1 Nummer 2, 3 und 4b und 4c ErbStG |
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– |
Befreiung nach § 13d ErbStG |
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+ |
Steuerwert des Grundvermögens |
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– |
Befreiungen nach § 13 Absatz 1 Nummer 2, 3 und 4a bis 4c ErbStG |
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– |
Befreiung nach § 13d ErbStG |
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+ |
Steuerwert des übrigens Vermögens |
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– |
Befreiungen nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 und 2 ErbStG |
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= |
Vermögensanfall nach Steuerwerten |
2. |
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Steuerwert der Nachlassverbindlichkeiten, soweit nicht vom Abzug ausgeschlossen, mindestens Pauschbetrag für Erbfallkosten (einmal je Erbfall) |
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= |
abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten |
3. |
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Vermögensanfall nach Steuerwerten (1.) |
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– |
abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten (2.) |
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– |
weitere Befreiungen nach § 13 ErbStG |
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= |
Bereicherung des Erwerbers |
4. |
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Bereicherung des Erwerbers (3.) |
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– |
ggf. steuerfreier Zugewinnausgleich § 5 Absatz 1 ErbStG |
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+ |
ggf. hinzuzurechnende Vorerwerbe § 14 ErbStG |
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– |
persönlicher Freibetrag § 16 ErbStG |
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– |
besonderer Versorgungsfreibetrag § 17 ErbStG |
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= |
steuerpflichtiger Erwerb (abzurunden auf volle hundert Euro) |
B. Inhalt der Vorschrift im Einzelnen
I. Steuerpflichtiger Erwerb (Abs. 1 Satz 1)
1. Bereicherung
Rz. 3
Die Erbschaftsteuer wird erhoben, um den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu erfassen. Dies ist der Fall, wenn dem Empfänger ein in Geld messbarer Vermögensvorteil (so § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) zufließt. Hat z.B. ein Nacherbe selbst durch Baumaßnahmen auf einem nachlasszugehörigen Grundstück zu Lebzeiten des Vorerben in Erwartung der Nacherbfolge eine Wertsteigerung des Grundstücks geschaffen, so ist dieser Betrag nicht als Bereicherung zu erfassen (s. auch H E 7 Abs. 3 (5) ErbStH 2019) für den Fall der schenkweisen Übertragung eines bebauten Grundstücks nach Errichtung eines Gebäudes durch den Beschenkten).
Zum Ausgleich der von ihm bewirkten Werterhöhung ist der vom Lagefinanzamt festgestellte Grundbesitzwert in dem Umfang herabzusetzen, wie die Baumaßnahmen den Grundstückswert beeinflusst haben.
Maßgeblicher Zeitpunkt ist der nach § 9 ErbStG sich ergebende Stichtag. Um diesen zu ermitteln, müssen alle Vor- und Nachteile auf der Empfängerebene saldiert werden (sog. objektives Nettoprinzip). Vermögensminderungen nach diesem Stichtag bleiben unberücksichtigt, selbst wenn bei der V...