A. Grundaussagen der Vorschrift
Rz. 1
Bei jeder Wertermittlung nach dem ErbStG sind insbesondere folgende Fragen zu klären: Was ist zu bewerten? Auf welchen Zeitpunkt ist zu bewerten? Wie ist zu bewerten? Das "Was" bestimmt § 10 ErbStG, das "Wie" § 12 ErbStG. Den maßgebenden Zeitpunkt ("Wann") schließlich regelt § 11 ErbStG. Die Vorschrift betrifft Bestand und Wert des Erwerbs.
Rz. 2
Gem. § 11 ErbStG ist für die Wertermittlung, soweit das Erbschaftsteuergesetz anderes nicht bestimmt, der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer (§ 9 ErbStG) maßgebend. Für die Bewertung gilt somit das Stichtagsprinzip.
Rz. 3
§ 11 ErbStG gilt für die "Wertermittlung": Zur Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs wird der aus dem steuerpflichtigen Vorgang stammende Vermögensanfall näher eingegrenzt und bewertet. Außerdem werden die vom Gesetz anerkannten Abzugsposten erfasst, bewertet und mit dem Vermögensanfall zur Verrechnung gebracht. Auf diese Weise wird aus dem Bruttovermögensanfall als Nettobetrag I die Bereicherung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) oder der Erwerb (§ 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) ermittelt. Die Bereicherung gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG jedoch nur in dem Umfang als steuerpflichtiger Erwerb, soweit sie nicht steuerfrei ist. Der Nettobetrag I muss daher noch um die aus den §§ 5, 13, 13a, 13c, 13d, 16 bis 18 ErbStG folgenden Befreiungen und Freibeträge gekürzt werden. Als Ergebnis dieser Kürzung liegt dann der Nettobetrag II vor, der als steuerpflichtiger Erwerb die Bemessungsgrundlage für die tarifliche Steuer abgibt. Die Rechenschritte, die ausgehend von dem Vermögensanfall zur Bestimmung des steuerpflichtigen Erwerbs führen, nennt das Gesetz in einer der Komplexität des Vorgangs nicht voll gerecht werdenden Terminologie "Wertermittlung".
Rz. 4
Sinn und Zweck des § 11 ErbStG ist es somit, die für die gesamte Wertermittlung maßgeblichen Umstände zeitlich exakt zu fixieren, unabhängig davon, dass sich diese in einem Zustand dauernder Veränderung befinden. Bewertungsstichtag bei den praktisch wichtigsten steuerpflichtigen Tatbeständen nach dem ErbStG – und damit auch Zeitpunkt der Entstehung der Steuer – ist der Tod des Erblassers bei Erwerben von Todes wegen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) sowie der Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung bei den Schenkungen unter Lebenden (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).
Rz. 5– 7
Einstweilen frei.
B. Stichtagsprinzip und nachträgliche Wertveränderungen
Rz. 8
"Stichtagsprinzip" heißt zunächst einmal, dass sich Wertveränderungen nach dem Stichtag, gleichgültig ob positive oder negative, nicht auswirken. Spätere Ereignisse, die den Wert des Vermögensanfalls erhöhen oder vermindern, können sich also erbschaftsteuerlich nicht auswirken.
Rz. 9
Die Wertermittlung nach § 11 ErbStG stellt demnach eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs nach dem Zeitpunkt der Steuerentstehung erfassen ließe. Das Stichtagsprinzip schließt zwar nicht grundsätzlich jeden Blick auf vorhergehende oder nachfolgende Ereignisse aus; insbesondere können später eingetretene Umstände zur Beurteilung der am Stichtag gegebenen Verhältnisse unterstützend i.S. einer retrospektiven Betrachtung herangezogen werden. Eine Rückprojizierung nachträglich eingetretener Ereignisse ist dagegen nicht erlaubt. Abgesehen von den Fällen einer retrospektiven Betrachtung sowie von ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen wie etwa § 9 Abs. 1 Nr. 1a–j ErbStG können nachträglich eingetretene Umstände danach bei der Festsetzung der Steuer nicht berücksichtigt werden.
Rz. 10
Beispiel
Der Erblasser stirbt während des Brandes seines Hauses.
Bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer sind das Haus und die darin befindlichen Sachen mit den zum Zeitpunkt des Erbfalls anzusetzenden steuerlichen Werten zu Grunde zu legen.
Den nach Eintritt des Erbfalls entstandenen Schäden an den Gebäuden und den übrigen Sachen kommt keine Bedeutung für die Steuerfestsetzung zu.
Rz. 11
Auf das Stichtagsprinzip stellte der BFH auch ab, als er entschied, dass eine in Gründung befindliche GmbH & Co. KG, an der eine natürliche Person beteiligt ist und die keine Handelsgewerbe betreibt, bei Anwendung des § 13a ErbStG nicht vor ihrer Eintragung in das Handelsregister als gewerblich geprägte Personengesellschaft beurteilt werden kann. Denn für die gewerbliche Prägung einer GmbH & Co. KG i.S. des Einkommensteuergesetzes kommt es darauf an, ob zum maßgeblichen Stichtag – hier: dem Bewertungsstichtag gem. § 11 ErbStG – sowohl die Komplementär-GmbH als auch die KG selbst in das Handelsregister eingetragen sind. Auf die...