A. Allgemeines
I. Normzweck
Rz. 1
Mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person (zur Nacherbfolge s. Rz. 34) anfallende Erwerbe sind bei der Besteuerung des letzten jeweiligen Erwerbs im Zehnjahreszeitraum zusammenzurechnen. Damit soll verhindert werden, dass bei aufeinanderfolgenden Schenkungen die Freibeträge nach § 16 ErbStG innerhalb von zehn Jahren mehrfach ausgenutzt werden können und die progressive Steigerung des Steuersatzes nach § 19 ErbStG durch Zerlegung einer größeren Schenkung in mehrere Teilschenkungen vermieden werden könnte.
Da nach Ablauf von zehn Jahren der persönliche Freibetrag wieder erneut zur Anwendung kommt, lohnt es sich oft mit einer weiteren Zuwendung zu warten, bis die Zehnjahresfrist verstrichen ist. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 ErbstG) zu achten (s. Rz. 41).
Rz. 2
§ 14 ErbStG nimmt den vorhergehenden Einzelerwerben nicht den Charakter selbständiger steuerpflichtiger Vorgänge, rollt bereits bestandskräftig gewordene Veranlagungen nicht wieder auf bzw. führt nicht zu einer nachträglichen Besteuerung der vorherigen Erwerbe. § 14 ErbStG verändert nur die Steuerprogression für den letzten Erwerb.
Rz. 3
Stellt das Finanzamt bei Besteuerung des letzten Erwerbs erstmals noch nicht versteuerte Schenkungen fest oder ergeben sich Änderungen nach § 173 AO, so ist deren Besteuerung durch einen besonderen Schenkungsteuerbescheid nachzuholen (sofern noch nicht verjährt). Besteuert das Finanzamt alle Erwerbe gleichzeitig durch einen zusammengefassten Steuerbescheid (Erbschaft- und Schenkungsteuerbescheid), so muss dieser klar und bestimmt sein, ansonsten ist er rechtswidrig oder gar nichtig.
Rz. 4
Erwerbe außerhalb des Zehnjahreszeitraums zum jeweils gegenwärtigen Erwerb bleiben unberücksichtigt. Ob innerhalb dieses Zeitraums die einzelnen Erwerbe nach § 169 ff. AO verjährt sind oder das Finanzamt das Recht zur Besteuerung verwirkt hat, ist für die Berechnung nach § 14 ErbStG unerheblich. Bei der Berechnung der Zehnjahresfrist rückwärts wird der Tag der ersten Schenkung nicht mit eingerechnet. § 108 Abs. 3 AO ist nicht anwendbar (s.a. Rz. 41).
Rz. 5
Trat während des Zehnjahreszeitraums weder eine Rechtsänderung noch ein Steuerklassenwechsel (z.B. Heirat, Adoption) ein, so hat dies zur Folge, dass die einzelnen Erwerbe insgesamt so besteuert werden, als habe nur ein Erwerb stattgefunden.
II. Zusammenrechnung
Rz. 6
Die Besteuerung des (jeweils) gegenwärtigen Erwerbs erfolgt durch eine Zusammenrechnung mit allen vorangegangenen Erwerben (Vorerwerbe) der letzten Jahre zu einem Gesamtbetrag.
Rz. 7
Bei Erwerben durch gemischte Schenkung und Schenkung unter Auflage, für die die Steuer nach dem 31.12.2008 entstanden ist, gilt hinsichtlich der Ermittlung der Bereicherung eine neue Rechtslage. Diese ist nun dergestalt zu ermitteln, dass in dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Steuerwert der Leistung des Schenkers die Gegenleistungen des Beschenkten und die von ihm übernommenen Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen mit ihrem nach § 12 ErbStG ermittelten Wert abgezogen werden. Mit den Auswirkungen dieser neuen Rechtslage bei der Zusammenrechnung solcher Erwerbe mit nachfolgenden Erwerben innerhalb der zehn Jahre beschäftigen sich die gleich lautenden Ländererlasse vom 19.8.2011.
Rz. 8
Wegen der Bestandskraft kommt keine Änderung der Steuerfestsetzung für den noch nach der früheren Rechtslage ermittelten Vorerwerb in Betracht. Stattdessen wird bei der Ermittlung der Steuer für den nachfolgenden Erwerb der eigentlich materiell zutreffende Wert des Vorerwerbs nach neuer Rechtslage herangezogen und auch die sich dafür ergebende Steuer als tatsächlich zu entrichtende Steuer i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG berücksichtigt. Eine bei der Besteuerung des Vorerwerbs zu Unrecht abgezoge...