Leitsatz
Erhält ein im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses 12-jähriges Verkehrsunfallopfer von der Versicherung des Schädigers nach Schweizer Recht Ersatz für den verletzungsbedingt erlittenen, rein hypothetisch berechneten Erwerbs‐ und Fortkommensschaden, kommt eine Anwendung von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht in Betracht, wenn die Vereinbarung der an der Schadensregulierung Beteiligten – trotz der Bezeichnung der gewährten Versicherungsleistung als "Verdienstausfall" – nicht dahin gedeutet werden kann, dass damit Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten, d.h. bestimmten oder jedenfalls hinreichend bestimmbaren Einkunftsquelle i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gezahlt werden sollte.
Normenkette
§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7, § 19, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 33 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin wurde im Alter von 12 Jahren Opfer eines fremdverschuldeten Autounfalls, bei dem sie schwerste irreversible Schäden erlitt. Sie ist seitdem erwerbsunfähig. Nach langjähriger Auseinandersetzung leistete die Versicherung des Unfallgegners u.a. eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Zahlung von 695.000 EUR.
Das FA unterwarf die Zahlung erklärungsgemäß der ermäßigten Besteuerung (Entschädigung für Einnahmen gemäß § 19 EStG).
Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3.1.2019, 3 K 1497/18, Haufe-Index 13203205, EFG 2019, 1170) hat die Klage abgewiesen. Dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis stand oder Anspruch auf Arbeitslohn hatte, ändere nichts daran, dass entgangene Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit ersetzt worden seien. Das ergebe sich schon aus dem abschließenden Prozessvergleich.
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hat der BFH das Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Die als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend gemachten Anwaltskosten hat der BFH den außergewöhnlichen Belastungen zugerechnet.
Offene Fragen
1. Unter welchen Voraussetzungen eine zukünftige Erwerbstätigkeit – wie im Streitfall – "rein hypothetisch" sein soll, wird nicht ganz klar. Denkbar wäre, bei nicht volljährigen Unfallopfern einen hinreichend konkreten Zusammenhang stets zu verneinen. Aber was gilt, wenn sich eine zukünftige Berufstätigkeit schon (mehr oder minder) klar abzeichnete? Greift dann die Besteuerung wieder Platz? Wo liegt die Altersgrenze?
Einfacher und möglicherweise nicht weniger gerecht wäre es gewesen, die zukünftige Erwerbstätigkeit prognostisch zu beurteilen, bzw. die Beurteilung zu übernehmen, die dem Prozessvergleich zugrunde liegt, und den "Verdienstausfallschaden"gleichmäßig zu besteuern.
2. Dabei sind auch denkbare Auswirkungen auf das Zivilrecht zu beachten: Versicherer werden in ähnlichen Fällen nun mutmaßlich nur noch den Netto-Schaden ersetzen. Die Geschädigten können die zu jedem Vergleich gehörende Abgeltungsvereinbarung nur noch unter Vorbehalt der steuerlichen Beurteilung abschließen. Schadensersatzprozesse werden dadurch komplizierter und aufwändiger, wenn auch noch der Ausgang des Steuerverfahrens abgewartet werden muss.
Hinweis
Muss/darf/soll die von einem Schwerstgeschädigten mühsam erstrittene Entschädigung besteuert werden? Der BFH hat einen Weg gesucht, um dieses Ergebnis zumindest punktuell zu vermeiden. Eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Entschädigung des im Unfallzeitpunkt noch minderjährigen Unfallopfers muss u.U. nicht versteuert werden.
Dem will man zustimmen, wenn man das dramatische Schicksal betrachtet, um das es geht. Zweifelsfragen ergeben sich jedoch im Hinblick auf die Reichweite der Ausnahmeentscheidung. Dass es sich um eine solche handelt, ergibt sich schon aus der Länge und Informationsdichte des Leitsatzes. Er lässt viel Raum für zukünftige Abgrenzungen. Offenbar will sich der BFH noch nicht endgültig festlegen.
1. Nach nationalem Recht kommt eine (steuerbare und steuerpflichtige) Entschädigung in Betracht, wenn der Steuerpflichtige infolge einer schuldhaften Körperverletzung eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit erleidet. Das gilt für Zahlungen, die nach Maßgabe des § 842 BGB den Erwerbs- oder Fortkommensschaden ausgleichen sollen. Die Leistungen müssen (aus steuerlicher Sicht) dazu dienen, steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen auszugleichen, die der Steuerpflichtige infolge seiner Verletzung nicht mehr erzielen kann. Die entgangenen Einnahmen müssen sich einer bestimmten Einkunftsart zuordnen lassen, weil § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG eine eigene Einkunftsart nicht schafft. Andernfalls fehlt es an der Steuerbarkeit.
2. Zu dem im Streitfall anwendbaren Schweizer Recht enthält das Urteil keine abweichenden Maßstäbe. Vielmehr hält der BFH die Grundsätze auf eine nach ausländischem Recht geleistete Entschädigung für entsprechend anwendbar (Rz. 17 a.E.).
3. Letztlich hat der BFH darauf abgestellt, dass im Streitfall eine Entschädigung für eine "rein hypothetische" Erwerbstätigkeit gezahlt worden sei (Leitsatz). Der Lebensweg der Klägerin ohne das schädigende Ereignis könne nur rein spekulativ und rein hyp...