Leitsatz
1. § 6a GrEStG gilt für alle Rechtsträger i.S. des GrEStG, die wirtschaftlich tätig sind.
2. Bei der Verschmelzung einer von einem herrschenden Unternehmen abhängigen Gesellschaft auf eine andere abhängige Gesellschaft muss das herrschende Unternehmen fünf Jahre vor der Verschmelzung zu mindestens 95 % an beiden abhängigen Gesellschaften ununterbrochen beteiligt gewesen sein (Vorbehaltensfrist).
Normenkette
§ 6a, § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG
Sachverhalt
Mit Verschmelzungsvertrag vom 21.6.2010 wurde die A-GmbH, deren Grundbesitz in den Bezirken mehrerer Finanzämter belegen war, als übertragende Gesellschaft durch Aufnahme nach §§ 2 Nr. 1, 4 ff., 46 ff. UmwG auf die Klägerin als übernehmende Gesellschaft verschmolzen. Die Verschmelzung wurde am 9.9.2010 in das Handelsregister eingetragen. Zum Zeitpunkt der Verschmelzung waren die A-GmbH und die Klägerin jeweils 100 %ige Tochtergesellschaften der X-S.A. Diese war zum Verschmelzungszeitpunkt seit mehr als fünf Jahren Alleingesellschafterin der A-GmbH und seit Mai 2007 zu mindestens 95 % an der Klägerin beteiligt.
In dem Übergang des Eigentums an den Grundstücken der A-GmbH auf die Klägerin aufgrund des Verschmelzungsvertrags sah das FA die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG als erfüllt an. Es stellte daher die Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GrEStG für den Erwerbsvorgang der Klägerin gesondert fest. Dabei versagte es eine Steuervergünstigung nach § 6a GrEStG.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg (FG München, Urteil vom 22.10.2014, 4 K 37/12, Haufe-Index 7536484, EFG 2015, 243).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen einer abhängigen Gesellschaft i.S.d. § 6a Sätze 3 und 4 GrEStG. Die X-S.A. hielt die 100 %ige Beteiligung an der Klägerin zum Zeitpunkt der Verschmelzung noch nicht – wie erforderlich – fünf Jahre.
Hinweis
1. Beim Besprechungsurteil II R 17/19 (BFH/NV 2020, 459) und den ebenfalls in diesem Heft besprochenen weiteren Urteilen vom 21.8.2019 (II R 15/19, II R 16/19, II R 19/19, II R 20/19) und 22.8.2019 (II R 18/19) handelt es sich um die ersten Sachentscheidungen des BFH zu § 6a GrEStG.
Der BFH legt die Vorschrift viel weiter als die Finanzverwaltung aus. Die Steuerpflichtigen haben in allen Fällen außer im vorliegenden Verfahren obsiegt.
2. Der durch die Verschmelzung einer GmbH auf einen anderen Rechtsträger bewirkte Übergang des Eigentums an den Grundstücken der GmbH unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Es handelt sich um gesetzliche Eigentumswechsel, bei denen kein den Anspruch auf Übereignung begründendes Rechtsgeschäft vorausgegangen war und es auch keiner Auflassung bedurfte.
3. § 6a GrEStG sieht unter bestimmten Voraussetzungen für den gesetzlichen Eigentumsübergang bei der Verschmelzung und anderen Umwandlungen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UmwG die Nichterhebung der Grunderwerbsteuer vor. Die Nichterhebung der Steuer setzt voraus, dass an dem Umwandlungsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (§ 6a Satz 3 GrEStG). Im Sinne von Satz 3 abhängig ist eine Gesellschaft, an deren Kapital oder Gesellschaftsvermögen das herrschende Unternehmen innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahren nach dem Rechtsvorgang unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt ist (§ 6a Satz 4 GrEStG).
4. Der BFH ist bereits in dem an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen (BFH, Beschluss vom 30.5.2017, II R 62/14, BFH/NV 2017, 1133, BStBl II 2017, 916; vgl. unten 6.) von einem weiten Anwendungsbereich des § 6a GrEStG ausgegangen. So sei die Anwendung der Vorschrift auf die Verschmelzung einer GmbH auf ihre Alleingesellschafterin, eine AG, entgegen dem Wortlaut von Satz 4 der Vorschrift nicht deshalb ausgeschlossen, weil die GmbH aufgrund der Verschmelzung erlösche.
5. Dieser Linie ist der BFH in den nunmehr ergangenen Urteilen gefolgt.
a) Eine Gesellschaft, die durch die Umwandlung entsteht oder erlischt, kann zwar die in § 6a Satz 4 GrEStG bestimmten zeitlichen Voraussetzungen der Abhängigkeit (Vorbehaltens- und Nachbehaltensfrist) aus rechtlichen Gründen nicht vollständig erfüllen. Dies schließt aber nach Sinn und Zweck des § 6a GrEStG die Nichterhebung der Steuer nach dieser Vorschrift nicht aus.
b) Die Voraussetzungen des § 6a GrEStG sind demgegenüber nicht erfüllt, wenn bei der Verschmelzung einer grundbesitzenden Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft der Alleingesellschafter zwar seit mehr als fünf Jahren zu mindestens 95 % am übertragenden Rechtsträger, nicht aber am übernehmenden Rechtsträger beteiligt war. Die Vorbehaltensfrist muss hinsichtlich beider Rechtsträger eingehalten werden. Unerh...