Wer kraft Gesetzes für eine fremde Steuerschuld einzustehen hat, ist nach § 191 Abs. 1 AO Haftungsschuldner und kann nach pflichtgemäßem Ermessen des Finanzamts mittels Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Haftungsschuld setzt grundsätzlich eine originäre Steuerschuld voraus. Die Haftungsmöglichkeit bezweckt, die Befriedigung des Steueranspruchs auf weitere Personen auszudehnen und den Steueranspruch zu verstärken und zu sichern.
Der Haftungsanspruch gehört nach § 37 Abs. 1 AO zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Er entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (vgl. § 38 AO). Dieser materiell-rechtliche Haftungsanspruch wird förmlich mittels Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO durchgesetzt.
Der Bestand eines Haftungsanspruchs ist nach dem Wortlaut des § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 AO grundsätzlich vom Fortbestand eines festgesetzten Steueranspruchs abhängig. Der Haftungsanspruch kann folglich frühestens mit dem Steueranspruch entstehen. Der Steueranspruch kann allerdings bereits vor dem Haftungsanspruch entstanden sein. Erlischt die Steuerschuld, ist auch der Haftungsanspruch nicht weiterzuverfolgen. Ein Haftungsbescheid darf nicht mehr ergehen. Ein bereits ergangener Bescheid ist aufzuheben. Wichtig ist aber die Ausnahme nach § 191 Abs. 5 Satz 2 AO.
Wenn der Haftungsschuldner Steuerhinterzieher ist, kann ein Haftungsbescheid auch dann ergehen, wenn eine Steuerschuld nicht (mehr) besteht oder durchsetzbar ist, insbesondere verjährt ist. Ein Haftungsbescheid kann auch ohne vorherigen Erlass eines Steuerbescheids (gegen den Steuerschuldner) ergehen.
Täter und Teilnehmer einer Steuerhinterziehung (nicht bei einer leichtfertigen Steuerverkürzung nach § 378 AO), die selbst nicht bereits Steuerschuldner sind, haften gem. § 71 AO für die Steuerverkürzungen bzw. die ungerechtfertigten Steuervorteile sowie für die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und steuerliche Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO. Der Haftungsschuldner muss den strafrechtlichen Tatbestand der Steuerhinterziehung als Allein- oder Mittäter bzw. als Gehilfe vollendet haben. Ein Versuch der Straftat scheidet als haftungsbegründender Tatbestand aus. Strafrechtliche Verfolgungshindernisse wie die Selbstanzeige oder die Strafverfolgungsverjährung beim Täter/Steuerschuldner hindern die Haftungsinanspruchnahme nicht.
Auch der Steuerberater kann Haftungsschuldner nach § 71 AO sein. Steuerschuldner und Haftungsschuldner sind Gesamtschuldner i. S. v. § 44 AO. Im Zusammenhang mit der Beratung zur Selbstanzeige bedeutet das im Einzelnen:
1. Variante
Fall-Beispiel
Gutgläubigkeit des Steuerberaters (weiß nichts und hatte auch keinen Verdacht) während der (jahrelangen) Dauer des Mandats bei Vorliegen von Steuerstraftaten/-ordnungswidrigkeiten durch den Mandanten. Mandant klärt den Steuerberater über seine Straftaten/Ordnungswidrigkeiten auf und lässt sich beraten. Mandant entscheidet sich nach der Beratung durch seinen Steuerberater gegen die Selbstanzeige.
Rechtsfolge
Eine haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Steuerberaters für die bis zur Beratung veranlagten Jahre scheidet aus, da ihm kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorgeworfen werden kann.
Fertigt der Steuerberater für den Steuerpflichtigen nach der Beratung im Zusammenhang mit der Selbstanzeige Steuererklärungen für die noch nicht veranlagten Jahre, obwohl er anhand der "Geständnisse" des Mandanten davon ausgehen muss, dass dieser z. B. weiterhin Steuern hinterziehen will etc., kann eine Haftung nach § 71 AO grundsätzlich in Betracht kommen, wenn dem Steuerberater eine Beihilfetätigkeit zur Steuerhinterziehung nach § 370 AO nachgewiesen (häufig in der Praxis schwierig) werden kann (eine strafrechtliche Verurteilung des Mandanten ist nicht erforderlich). Die Haftung erstreckt sich auf die hinterzogenen Steuern und die steuerlichen Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO (Verspätungszuschläge, Zinsen nach § 233 AO und Hinterziehungszinsen nach § 237 AO, Säumniszuschläge etc.).
In der Praxis wird eine Haftungsinanspruchnahme, die im Ermessen des Finanzamts steht, von der finanziellen Situation des Steuerschuldners "abhängen". Ist beim Steuerschuldner nichts zu holen, wird das Finanzamt sich an den Haftungsschuldner halten. Es muss das Ziel sein, soweit der Nachweis der Beteiligung seitens des Steuerberaters zu gelingen droht, zu argumentieren, dass seitens des Steuerberaters "lediglich" eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt, da dann eine Haftung ausscheidet.
Am besten ist es, der Steuerberater legt auch hier das Mandat komplett nieder.
Ausscheiden des Haftungsrisikos
Entscheidet sich der Mandant für die Selbstanzeige und will künftig Ehrlichkeit (z. B. Angabe der vollen Zinseinnahmen in den noch nicht veranlagten Jahren), ist das Risiko für den Steuerberater zu haften, nicht gegeben.
2. Variante
Fall-Beispiel
Der Steuerberater hatte begründeten Verdacht während der (jahrelangen) Dauer des Mandats, dass Steuerstraftaten/-ordnung...