Rz. 95
Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a Buchst. e EStG herrscht in der Steuerbilanz ein generelles Abzinsungsgebot von unverzinslichen Verbindlichkeiten und Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mindestens einem Jahr, soweit die Verbindlichkeiten und Rückstellungen nicht auf einer Anzahlung oder auf einer Vorauszahlung beruhen. Dabei fungiert als Zinssatz unter Beachtung des Bewertungsvorbehalts gem. § 5 Abs. 6 EStG der gesetzlich vorgeschriebene Wert i. H. v. 5,5 %. Die Abzinsung führt in der Steuerbilanz des Darlehensnehmers zu einem außerordentlichen Ertrag im Jahr der Darlehensaufnahme, was im Übrigen dem Realisationsprinzip zuwiderläuft, sowie zu entsprechendem außerordentlichen Aufwand in den Folgejahren aufgrund der sukzessiven Aufzinsung des Barwerts der Schuld. Dagegen hat bei verzinslichen Verbindlichkeiten und Rückstellungen, d. h. Schulden, bei denen ein Zinssatz vereinbart wurde, eine Abzinsung im Umkehrschluss zu unterbleiben. Um eine aus gesetzgeberischer Sicht unangemessen hohe Bewertung von Rückstellungen zu verhindern, sieht R 6.11 Abs. 3 Satz 1 EStR 2012 vor, dass mit Ausnahme der Pensionsrückstellungen die Höhe der Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz nicht überschreiten darf.
Jene Regelung in Gestalt einer Deckelung der steuerlichen durch die (niedrigere) handelsrechtliche Rückstellungshöhe ist insbesondere deshalb zu kritisieren, da erstens der spezielle steuerliche Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG die handelsrechlichen Bewertungsregelungen einschränkt und nicht umgekehrt und zweitens eine unterschiedliche Behandlung von Pensionsrückstellungen einerseits sowie übrigen Rückstellungsarten andererseits nicht zu rechtfertigen ist.
Der BFH interpretierte das Verhältnis zwischen steuerlicher und handelsrechtlicher Rückstellungshöhe dahingehend, dass er eine entsprechende wertmäßige Begrenzung aus dem § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG einleitenden Wort "höchstens" ableitete.
Rz. 96
Eine in diesem Bereich betriebene Steuerbilanzpolitik sollte im Rahmen der Sachverhaltsgestaltung eine (sofortige) gewinnerhöhende Abzinsung in der Steuerbilanz vermeiden und mithin das Vorliegen verzinslicher Schulden sicherstellen. Eine Verzinslichkeit ist laut Finanzverwaltung bereits bei Vereinbarung einer niedrigen Verzinsung, d. h. bei einem "Zinssatz von mehr als 0 %", anzunehmen, wobei es unerheblich ist, ob am Bilanzstichtag fällige Zinsen auch tatsächlich gezahlt oder gestundet werden. Gleiches gilt für eine zeitweise Verzinsung oder eine verdeckte Verzinsung, im Rahmen derer andere wirtschaftliche Nachteile als Gegenleistung für die Kapitalüberlassung in Kauf zu nehmen sind. Eine andere Möglichkeit bestünde in der vollständigen Tilgung einer Verbindlichkeit vor Ablauf eines Jahres nach dem Bilanzstichtag, da das für eine Abzinsung einschlägige Kriterium der Restlaufzeit unerfüllt bliebe. In allen Fällen ist jedoch zu beachten, dass keine "unangemessene rechtliche Gestaltung" gem. § 42 AO vorliegen darf.