Leitsatz
1. Hat ein Steuerpflichtiger wegen unzutreffender Aufteilung des Gewinns Einspruch nur für das Vorjahr eingelegt, beantragt er damit nicht zugleich konkludent, die ESt für das Folgejahr heraufzusetzen.
2. § 127 AO ist auf die Korrekturvorschrift des § 174 Abs. 4 AO nicht anwendbar.
3. Für den rechtmäßigen Erlass eines Änderungsbescheids nach § 174 Abs. 4 AO reicht es (aber) aus, wenn die Voraussetzungen für die Änderung, insbesondere die Aufhebung oder Änderung des anderen Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen, bis zur Entscheidung über den Einspruch gegen den (auf § 174 Abs. 4 AO gestützten) Änderungsbescheid vorliegen.
Normenkette
§ 125, § 127, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 174 Abs. 4 AO
Sachverhalt
Die Betriebsprüfung hatte bei einem Landwirt Betriebsausgaben nicht mehr anerkannt. Im Prüfungszeitraum war der landwirtschaftliche Betrieb zu einem reinen Gartenbaubetrieb geworden. Das Wirtschaftsjahr 1992/93 war das letzte Normal-Wirtschaftsjahr für den landwirtschaftlichen Betrieb; der Gartenbaubetrieb bilanzierte erstmals auf den 31.12.1993. Bei der ESt-Veranlagung 1993 erfasste das FA nach der Prüfung die Hälfte des Gewinns aus dem Wirtschaftsjahr 1992/93 sowie den Verlust aus dem Rumpf-Wirtschaftsjahr 1993. Die ESt 1993 wurde auf 0 DM festgesetzt. Außerdem erging über die ESt 1992 ein steuererhöhender Änderungsbescheid.
Gegen letzteren Bescheid legte der Steuerpflichtige Einspruch mit der Begründung ein, § 8c Abs. 2 EStDV sei nicht beachtet worden. Nach dieser Vorschrift ist die Umstellung des Wirtschaftsjahrs durch Verlängerung des letzten abweichenden Wirtschaftsjahrs auf 18 Monate und Verteilung des Gewinns mit 6/18 auf den ersten VZ und 12/18 auf den zweiten VZ zu erfassen. Danach ergab sich eine niedrigere ESt 1992, aber eine höhere ESt 1993.
Das FA folgte dem Einwand, erließ aber zunächst nur einen steuererhöhenden Bescheid 1993, den es auf § 129 AO stützte. Hiergegen erhob der Steuerpflichtige Einspruch, weil die Voraussetzungen einer offenbaren Unrichtigkeit nicht vorlägen. Daraufhin erließ das FA den steuermindernden ESt-Bescheid 1992 und wies anschließend den Einspruch betreffend 1993 mit der Begründung zurück, der steuererhöhende Bescheid könne zwar nicht auf § 129 AO, aber nun auf § 174 Abs. 4 AO gestützt werden.
Das FG wies die Klage ab, begründete dies aber mit einer weiteren Lösungsvariante: der Bescheid habe auf § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AOgestützt werden können, denn konkludent mit dem Verlangen nach einer Steuerminderung für 1992 habe der Steuerpflichtige auch einer Steuererhöhung für 1993 zugestimmt (FG Köln, Urteil vom 25.05.2005, 14 K 2275/01, Haufe-Index 1644121, EFG 2007, 316).
Entscheidung
Der BFH hielt den steuererhöhenden Bescheid ebenfalls für rechtmäßig, folgte aber nicht dem Lösungsweg des FG. Vielmehr teilte der BFH die Auffassung des FA, dass die verfahrensrechtliche Rechtfertigung des Bescheids in § 174 Abs. 4 AO zu finden sei. Es reiche aus, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift bei Ergehen der Einspruchsentscheidung vorlägen.
Hinweis
1. Der verfahrensrechtlich verwirrende Fall betrifft das Verhältnis von zwei miteinander verbundenen ESt-Bescheiden. Er wird nur dann verständlich, wenn man die materiell-rechtliche Verbindung der beiden Bescheide nachvollziehen kann. Die Entscheidung selbst betrifft aber Verfahrensrecht und hat für alle Steuerbescheide und alle Steuerarten Bedeutung.
2. Materiell-rechtlicher Ausgangspunkt des Urteils ist eine landwirtschaftliche Spezialität für die Umstellung von einem abweichenden auf ein kalenderjahrgleiches Wirtschaftsjahr. Nach § 8c Abs. 2 S. 2 EStDV verlängert sich das letzte vom Kalenderjahr abweichende Wirtschaftsjahr um den Zeitraum bis zum Beginn des ersten mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Wirtschaftsjahrs; ein Rumpf-Wirtschaftsjahr ist anders als bei Gewerbetreibenden nicht zu bilden.
Diese Besonderheit hatte der Betriebsprüfer nicht beachtet und im Jahr der Umstellung 6/12 des ablaufenden abweichenden Wirtschaftsjahrs erfasst sowie ein sechsmonatiges Rumpf-Wirtschaftsjahr gebildet. Letzteres ergab naturgemäß einen Verlust, der hier höher als die Hälfte des Gewinns des ablaufenden abweichenden Wirtschaftsjahrs war. Es kam deshalb zu einer ESt von 0 DM.
Dafür war aber die ESt für das Vorjahr höher, als wenn richtig 6/18 des verlängerten Wirtschaftsjahrs erfasst worden wären. Per Saldo beider VZ war die Verfahrensweise des Prüfers für den Steuerpflichtigen nachteilig. Deshalb griff er den ESt-Bescheid für das Vorjahr (1992) mit dem Einspruch an. Es war danach aber klar, dass die ESt für das Umstellungsjahr (1993) höher werden musste. Den betreffenden Bescheid konnte der Steuerpflichtige wegen der Festsetzung auf 0 DM nicht angreifen.
3. Für solche Fälle widerstreitender Steuerfestsetzungen hält die AO eine Vorschrift bereit, die auch den Erlass des nachteiligen Änderungsbescheids zulässt, nämlich § 174 Abs. 4 AO. Voraussetzung ist allerdings, dass zunächst der steuermindernde Bescheid ergeht, ehe der darau...