Leitsatz
Ein nach § 158 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) gerichtlich bestellter Verfahrensbeistand kann sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.
Normenkette
§ 4 Nr. 16, Nr. 25, § 19 UStG, Art. 6 Abs. 2, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 24 EuGRCh, Art. 20 UN-KRK, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, Art. 133 Buchst. c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 7, § 158, § 168 FamFG, § 2 Abs. 3, § 50 SGB VIII
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Diplom-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Mediatorin und Systemische Beraterin, betreibt seit 2003 eine eigene Praxis. Im Streitjahr 2013 erbrachte sie u.a. Leistungen als Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG. In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das II. Quartal 2013 erklärte sie zunächst Ausgangsumsätze zum Regelsteuersatz von 15.966 EUR, legte gegen diese Voranmeldung aber Einspruch ein und beantragte unter Berufung auf die Steuerfreiheit nach Unionsrecht die Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0 EUR. Dem folgten FA und FG (FG Köln, Urteil vom 17.5.2017, 9 K 3140/14, Haufe-Index 11215302, EFG 2017, 1556) nicht.
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der Klage statt.
Hinweis
1. Das Unionsrecht enthält für den Sozialbereich eine weitergehende Steuerfreiheit als das nationale Recht. Dies beschäftigt den BFH immer wieder, der dabei Unternehmern, die sich auf das Unionsrecht berufen, immer wieder zur Steuerfreiheit verhilft.
2. Den vorläufigen Abschluss dieser Rechtsprechung bildet der Verfahrensbeistand.
a) Die Aufgabe des Verfahrensbeistands besteht darin, das Interesse des Kindes festzustellen und im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zur Geltung zu bringen. Dabei hat er das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren (§ 158 Abs. 4 Satz 1 und 2 FamFG). Ein Verfahrensbeistand ist nur zu bestellen, soweit dies zur Wahrnehmung der Interessen des Kindes "erforderlich" ist. Hierzu zählt § 158 Abs. 2 FamFG fünf Regelbeispiele auf, in denen dies grundsätzlich zu bejahen ist und in denen daher von einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes auszugehen ist. Eine Bestellung ist erforderlich, wenn das Interesse des Kindes zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, also
- wenn die Eltern das Verfahren zur Wahrung ihrer eigenen Interessen führen und die eigenen Interessen vor die des Kindes stellen (§ 158 Abs. 2 Nr. 1 FamG),
- bei teilweiser oder vollständiger Entziehung der Personensorge wegen Gefährdung des Kindeswohls (§ 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG),
- bei einer Trennung des Kindes von der Obhutsperson (§ 158 Abs. 2 Nr. 3 FamFG),
- bei einer Anordnung der Herausgabe oder Verbleibens des Kindes (§ 158 Abs. 2 Nr. 4 FamFG) sowie
- beim Ausschluss oder einer wesentlichen Beschränkung des Umgangsrechts (§ 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG).
b) Der BFH sieht hierin eine eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistung i.S.v. Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL.
c) Die für Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zusätzlich erforderliche Anerkennung des Unternehmers kann sich aus dem Bestehen spezifischer Vorschriften ergeben. Hierfür genügt dem BFH, dass § 158 Abs. 1 FamFG die Bestellung eines "geeigneten" Verfahrensbeistands verlangt. Zudem bejaht der BFH ein besonderes Gemeinwohlinteresse an der Tätigkeit des Verfahrensbeistands in Kindschaftssachen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.7.2019 – V R 27/17