Leitsatz
1. Die Veräußerung des Miteigentumsanteils an einer Sache (Buch) kann Gegenstand einer Lieferung sein (Änderung der Rechtsprechung).
2. Diese Lieferung ist trotz fehlenden Buchnachweises steuerfrei, wenn objektiv feststeht, dass der veräußerte Gegenstand unmittelbar nach der Veräußerung in einen anderen Mitgliedstaat gebracht wurde.
Normenkette
§ 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2, § 6a Abs. 1 UStG, § 17a, § 17c UStDV, Art. 5 Abs. 1, Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 6. EG-RL, Art. 14 Abs. 1, Art. 138 MwStSystRL, § 132, § 174 Abs. 4 AO, § 747, § 1008 BGB
Sachverhalt
Der Kläger verkaufte in 2008 einen Anteil von 50 % an einem Buch an eine in London ansässige Galerie zum Preis von 65.484 EUR. In der Rechnung wurde Umsatzsteuer nicht ausgewiesen. Der Kläger berichtigte die Rechnung später um die Angabe, dass der Umsatz als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sei. Der Galerist holte das Buch in München ab und transportierte es im Handgepäck nach London. Im März 2010 verkaufte es die Galerie an eine amerikanische Sammlung. Ebenfalls in 2010 verkaufte der Kläger die bei ihm verbliebene Beteiligung am Buch zu einem Kaufpreis von 240.000 EUR an die Galerie. Auch diese Veräußerung behandelte der Kläger als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung. Das Finanzamt sah hierin einen steuerpflichtigen Umsatz im Streitjahr 2008. Demgegenüber gab das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.10.2014, 5 K 5225/12, Haufe-Index 7487603, EFG 2015, 166) der Klage statt, da objektiv feststehe, dass der Miteigentumsanteil nach Großbritannien verbracht worden sei.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des Finanzamts als unbegründet zurück. Bei der Einräumung des Miteigentumsanteils an dem Buch habe es um eine Lieferung gehandelt, die als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sei, da das Finanzamt die objektiven Voraussetzungen der Steuerfreiheit nicht in Zweifel gezogen habe.
Hinweis
1. Die Umsatzsteuer unterscheidet zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen.
a) Die Bedeutung dieser Differenzierung zeigt sich z.B. bei grenzüberschreitenden Leistungen an Unternehmenskunden im übrigen Gemeinschaftsgebiet. So ist eine Lieferung nur unter den Bedingungen des § 6a UStG steuerfrei, während auf sonstige Leistungen das Empfängerortprinzip nach § 3a Abs. 2 UStG anzuwenden ist.
b) In Bezug auf die Beurteilung der Einräumung eines Miteigentumsanteils hat sich die Rechtsprechung des BFH geändert.
aa) Der BFH hat die Übertragung eines Miteigentumsanteils an einem Gegenstand bislang als sonstige Leistung angesehen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 27.4.1994, XI R 91-92/92, BStBl II 1994, 826; ebenso Abschn. 3.5 Abs. 3 Nr. 2 UStAE).
bb) Demgegenüber handelt es bei der Übertragung eines Miteigentumsanteils nunmehr um eine Lieferung. Maßgeblich ist hierfür, dass unionsrechtlich nicht nur Gebäude, sondern auch "Gebäudeteile" geliefert werden können (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL). Für die geänderte Sichtweise führt der BFH auch an, dass der EuGH sowohl die Einräumung eines Besitzrechts an einem bebauten Grundstück als auch die eng damit verbundene Übertragung des "Resteigentums" an einen anderen Erwerber als Lieferung ansieht (EuGH, Urteil vom 15.12.2005, C–63/04, Centralan Property Ltd., EU:C:2005:773, Rz. 26 f, 64, Haufe-Index 1464821).
2. Die Lieferung eines z.B. hälftigen Miteigentumsanteils kann als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sein.
a) Der BFH geht davon aus, dass eine Lieferung trotz Nichtvorliegens der formellen Nachweispflichten steuerfrei ist, wenn die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung unbestreitbar feststehen.
b) Fehlt z.B. der Buchnachweis aufgrund einer unterbliebenen Aufzeichnung der USt-IdNr. des Abnehmers, ist danach die Lieferung gleichwohl steuerfrei, wenn sich das Finanzamt nicht "traut", die Beförderung oder Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet in Zweifel zu ziehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.2.2016 – V R 53/14