Leitsatz
1. Umsätze aus einer Betreuungstätigkeit im Jahr 1999 waren nicht nach § 4 Nr. 18 S. 1 UStG 1993/1999 steuerfrei, soweit die Leistungsempfänger mittellos waren. Diese Umsätze waren nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der 6. EG-RL steuerfrei.
2. Das in § 4 Nr. 18 S. 1 Buchst. c UStG 1993/1999 geregelte Abstandsgebot ist insofern gemeinschaftsrechtswidrig, als es auch für behördlich genehmigte Preise i.S.v. Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der 6. EG-RL gilt.
3. Ein zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege gehörender und gemeinnützigen Zwecken dienender Verein kann sich für die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung für Betreuungsleistungen unmittelbar auf die günstigere Regelung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g i.V.m. Abs. 2 der 6. EG-RL berufen.
Normenkette
§ 4 Nr. 18 S. 1 Buchst. c UStG 1993/1999, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, Abs. 2 der 6.EG-RL
Sachverhalt
Der Kläger ist ein Verein und als unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt. Er ist einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen. Seine Mitarbeiter (Vereinsbetreuer) führten im Streitjahr 1999 u.a. Betreuungsleistungen aus.
Der Kläger hielt diese Leistungen für steuerfrei nach § 4 Nr. 18 UStG. Das FA behandelte sie als steuerpflichtig und gewährte den ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b UStG.
Das FG gab der Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 16.08.2006, 5 K 5856/02 U, Haufe-Index 2025868, EFG 2007, 300).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 18 S. 1 Buchst. c UStG sind die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege nur dann umsatzsteuerfrei, wenn die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben (Abstandsgebot).
2. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst g der 6. EG-RL sind u.a. die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen durch anerkannte Einrichtungen mit sozialem Charakter von der USt zu befreien.
Nach Art. 13 Teil A Abs. 2 der 6. EG-RL können die Mitgliedstaaten die vorgenannte Steuerbefreiung von der Erfüllung von bestimmten Bedingungen abhängig machen. Soweit den Mitgliedstaaten erlaubt ist, bezüglich der Preisgestaltung Bedingungen festzulegen, bestimmt Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der 6. EG-RL:
"Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert werden."
3. Ab dem Jahr 1999 richtete sich die Vergütung der Betreuer bei mittellosen Betreuten nach dem Gesetz über die Vergütung von Berufsvormündern (BVormVG). Hierin ist für Vereins- und Berufsbetreuer eine einheitliche Vergütung vorgesehen. Die konkrete Vergütung für die jeweilige Betreuung wird unter Berücksichtigung des erforderlichen Zeitaufwands entweder durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt. Im ersten Fall wird funktional eine Behörde tätig, im zweiten Fall übt das Vormundschaftsgericht eine mit einer Behörde vergleichbare Funktion aus. Deshalb handelt es sich bei den für die Betreuer festgesetzten Vergütungen um behördlich genehmigte Preise i.S.d. Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a. 3. Gedankenstrich der 6. EG-RL.
4. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vorgaben der 6. EG-RL insoweit nicht richtlinienkonform umgesetzt, als das Preisabstandsgebot des § 4 Nr. 18 S. 1 Buchst. c UStG nach dem Wortlaut der Vorschrift auch für Sachverhalte mit genehmigten Preisen gilt.
Das Preisabstandsgebot kann nicht darauf gestützt werden, dass die Mitgliedstaaten gem. Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a. 4. Gedankenstrich der 6. EG-RL berechtigt sind, die Steuerbefreiungen davon abhängig zu machen, dass sie nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zuungunsten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen. Denn es handelt sich bei Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchst. a 3. Gedankenstrich der 6. EG-RL um eine abschließende Spezialregelung hinsichtlich der Preisgestaltung. Dies schließt aus, dass ein Mitgliedstaat nur den ihm genehmen Teil dieser Bestimmung umsetzt.
5. Der Steuerpflichtige kann sich nach der Rechtsprechung des EuGH für die Steuerbefreiung unmittelbar auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-RL berufen, wenn diese Bestimmung in einem Mitgliedstaat nicht richtlinienkonform in innerstaatliches Recht umgesetzt worden ist (EuGH, Urteil vom 10.09.2002, C-141/00"Kügler", BFH/NV Beilage 2003, 30, Rn. 51, BFH/PR 2003, 29).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.02.2009 – XI R 67/06