Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Stipendien für an einer Hochschule beschäftigte Wissenschaftler zur Erfüllung einer Forschungsaufgabe oder zur Bestreitung des Lebensunterhalts sind nach § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. a EStG 2009 grundsätzlich steuerfrei, wenn sie die zuvor aus einem Beschäftigungsverhältnis bezogenen Einnahmen nicht übersteigen, nach den von dem Geber erlassenen Richtlinien vergeben werden und der Empfänger im Zusammenhang mit dem Stipendium nicht zu einer bestimmten wissenschaftlichen oder künstlerischen Gegenleistung oder zu einer bestimmten Arbeitnehmertätigkeit verpflichtet ist.
Normenkette
§ 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. a, § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2009
Sachverhalt
Die Klägerin war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Juristischen Fakultät einer Universität tätig und habilitierte sich dort. Auf ihre Bewerbung gewährte ihr eine Stiftung ein Forschungsstipendium im Rahmen eines bestimmten Projekts. Das Stipendium belief sich auf 2.700 EUR pro Monat. Zusätzlich erhielt sie eine Pauschale für Dienstreisen i.H.v. 400 EUR. Die Stiftung bescheinigte ihr außerdem einen Sachbezug durch die kostenlose Unterbringung i.H.v. 659,88 EUR. Die Klägerin erhielt von der Universität für die Dauer des Stipendiums Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge.
Das FA erfasste die Einnahmen der Klägerin aus dem Stipendium als sonstige Einkünfte. Einspruch und Klage blieben erfolglos (FG Hamburg, Urteil vom 5.9.2012, 6 K 39/12, Haufe-Index 3477371, EFG 2013, 104). Das FG verneinte die Voraussetzungen des § 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. a EStG, obwohl das Stipendium das vorher bezogene Gehalt der Klägerin nicht überstiegen hatte.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und beurteilte das Stipendium als steuerfrei.
Das Stipendium sei zur Förderung des gemeinnützigen Stiftungszwecks ("Förderung herausragender Forschung durch Einladung hervorragend qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler") gewährt worden, habe kein Arbeits‐ oder Dienstverhältnis begründet und sei "als Beitrag zur angemessenen Lebensführung" im Wesentlichen auf den Ausgleich für den zeitweiligen Ausfall der vor Bewilligung des Stipendiums bezogenen Einnahmen ausgerichtet gewesen.
Hinweis
Der Katalog der Steuerbefreiungen in § 3 EStG ist vielfach systematischer Kritik ausgesetzt, weil sich dort folgerichtige Ausnahmen von der Besteuerung mit rechtfertigungsbedürftigen Subventionen und fragwürdigen Steuerprivilegien auf mitunter undurchsichtige Weise mischen. Für § 3 Nr. 44 EStG ist indes die Rechtfertigung klar erkennbar: Steuerfrei sind Stipendien aus öffentlichen Mitteln für die Forschung oder zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung. Das ist sachgerecht, weil die vom Fiskus finanzierten Stipendien in ihrer subventiven Wirkung konterkariert wären, wenn derselbe Fiskus sie beim Empfänger anschließend besteuern würde.
So klar der Grundgedanke der Vorschrift zutage liegt, so verschlungen ist jedoch der Gesetzestatbestand:
1. Nach § 3 Nr. 44 EStG sind Stipendien steuerfrei, die unmittelbar aus öffentlichen Mitteln oder von zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtungen, denen die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied angehört, zur Förderung der Forschung oder zur Förderung der wissenschaftlichen oder künstlerischen Ausbildung oder Fortbildung gewährt werden. Das Gleiche gilt für Stipendien, die zu den in Satz 1 bezeichneten Zwecken von einer Einrichtung, die von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts errichtet ist oder verwaltet wird, oder von einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes gegeben werden.
2. Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist,
a) dass zum einen die Stipendien einen für die Erfüllung der Forschungsaufgabe oder für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Deckung des Ausbildungsbedarfs erforderlichen Betrag nicht übersteigen und nach den von dem Geber erlassenen Richtlinien vergeben werden (§ 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. a EStG),
b) und zum anderen, dass der Empfänger im Zusammenhang mit dem Stipendium nicht zu einer bestimmten wissenschaftlichen oder künstlerischen Gegenleistung oder zu einer bestimmten Arbeitnehmertätigkeit verpflichtet ist (§ 3 Nr. 44 Satz 3 Buchst. b EStG).
3. Was ist aber der für die Bestreitung des Lebensunterhalts erforderliche Betrag? Dieser unbestimmte Rechtsbegriff, mit dem die gesamte Steuerbefreiung steht oder fällt, macht der Rechtsprechung gehörige Schwierigkeiten und droht, jeweils zu einem definitorischen Eiertanz zu führen:
a) Immerhin kann man als Ankerpunkte solche Entscheidungen heranziehen, mit denen der BFH in der Vergangenheit die Erforderlichkeit eines Stipendiums als Voraussetzung der Steuerfreiheit bejaht hat (Erforderlichkeit bejaht für Stipendien von jährlich 35.000 $ und jährlich 22.900 DM).
b) Wenn Juristen nicht recht weiterwissen, ziehen sie gerne die Verkehrsauffassung heran. Sie wird aber nicht empirisch (rechtstatsächlich) ermittelt, ist also nicht nachprüfbar, sondern sie wird fallbez...