Die Praxis hat bislang zu Recht die neuen Ermittlungsverfahren initiiert und dabei die vorher erzielten Steuerdaten im neuen strafprozessualen Ermittlungsverfahren verwandt, auch wenn dem Autor bislang keine Veröffentlichung oder Gerichtsentscheidung bekannt ist, in der die rechtliche Grundlage zu dieser Überführung von steuerlichen Daten überprüft wurde; vielmehr setzt diese Praxis stillschweigend eine Erlaubnis voraus.
Die rechtliche Befugnis zur Offenbarung und Verwendung von weiterführenden Tatsachen ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO, auch wenn die Nutzung der steuerlichen Daten nicht in demselben Verfahren weiterverwandt werden. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO dürfen steuerlich geschützte Daten offenbart werden, wenn sie der Durchführung eines Verfahrens i.S.d. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO dienen. Nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO sind davon auch die Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder wegen eines Bußgeldverfahrens erfasst.
Bereits der Wortlaut "dienen" beschreibt als unbestimmter Rechtsbegriff, dass eine Sache für eine andere Sache nützlich, vorteilhaft, hilfreich sein kann oder ist, womit ein Unterstützen und Helfen zu verstehen ist, mit dem ein Ziel erreicht werden kann (vgl. www.duden.de/Rechtschreibung/dienen). Eine solche unterstützende, helfende Funktion liegt bei wörtlicher Auslegung des Dienens im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal Offenbaren in einem unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Verfahrensdurchführung vor (vgl. Pätz in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 123), wozu die relevanten geschützten Daten die tatbestandliche Prüfung im neuen Verfahren erst ermöglichen, erleichtern oder auf eine festere Grundlage stellen können (vgl. Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 73) bzw. für das neue Verfahren nützlich sind (vgl. Nr. 4.1 AEAO zu § 30 AO). Aus dieser Wortlautauslegung ergibt sich der Rückschluss, dass die steuerlich geschützten Daten auch in ein neues Ermittlungsverfahren überführt werden dürfen.
Diese Sichtweise wird zudem durch die Historie der Gesetzgebung gestützt, nach der das Steuergeheimnis nicht der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen entgegenstehen solle (vgl. BT-Drucks. IV/1982, 101), das Steuergeheimnis dürfe nicht die richtige und vollständige Besteuerung auch Dritter behindern (vgl. BT-Drucks. 7/4292, 17).
Eine systematische und teleologische Auslegung stützt zudem das gefundene Ergebnis. Zwar soll das Steuergeheimnis die Regel und die nach § 30 Abs. 4 und 5 AO normierten Durchbrechungen die gesetzlich begrenzten Ausnahmen sein, jedoch hat der Gesetzgeber gerade durch die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b AO eine weitreichende Beschränkung des Steuergeheimnisses eingeführt, die auf der Konkordanz zwischen dem informellen Selbstbestimmungsrecht des Steuerpflichtigen und dem verfassungsrechtlich verankerten Strafanspruch des Staates besteht. Bei dieser Konkordanzprüfung ist besonders das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsgebot mit dem verankerten Prinzip der Gleichbehandlung bei der allgemeinen strafrechtlichen Gerechtigkeit einzubeziehen (vgl. Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 152 Rz. 3). Durch das so verankerte Legalitätsprinzip wird die Staatsanwaltschaft rechtsstaatlich verpflichtet, bei möglichem strafrechtlich relevantem Verhalten einzuschreiten und dieses gem. § 160 Abs. 1 StPO aufzuklären, es besteht mithin ein Verfolgungszwang und eine Erforschungspflicht gegenüber jedem Verdächtigen (vgl. BVerfG v. 23.7.1982 – 2 BvR 8/82, NStZ 1982, 430 ff. LS 1). § 152 Abs. 2 StPO verpflichtet somit im verfassungsrechtlichen Verständnis zu einem effektiven Einschreiten. Dadurch ist das informelle Selbstbestimmungsrecht so zu beschränken, dass solche Daten nicht dauerhaft der Sperre des Steuergeheimnisses unterfallen können, die bei der Strafverfolgung erforderlich sind (vgl. Schmitz in Münchner Kommentar StGB, 4. Aufl. 2022, § 355 Rz. 63). Ein Ausschluss oder Begrenzung der Strafverfolgung durch das informelle Selbstbestimmungsrecht ist nicht intendiert. Die Ausnahmevorschrift des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist in diesem vorgenannten Sinne weit auszulegen.
Gleichsam ist auf die allseits anerkannte Weiterleitung von Kontrollmitteilungen nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO hinzuweisen, die der Gesetzgeber ausdrücklich anerkannte (vgl. BT-Drucks. 7/4292, 17; Große in Große/Melchior/Lotz, AO, 22. Aufl. 2021, Rz. 553). Das hier herausgearbeitete Ergebnis führt letztlich nur zu einer Abkürzung des Kontrollmitteilungsverfahrens, da das Besteuerungsfinanzamt nicht zuvor eingebunden werden muss.