Unkritisch ist die Preisgabe der Ermittlungserkenntnisse des Beschuldigten an den Ermittlungsrichter, wenn die vom Steuergeheimnis geschützten Daten ihn selbst betreffen, da dies der originäre Anwendungsbereich des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist.
So eindeutig das Ergebnis bei dem Beschuldigten selbst ist, so streitig wird in der Praxis der Ermittlungsbehörden und der Ministerialbürokratie die Konstellation behandelt, bei der der Ermittlungsrichter in einem Ermittlungsverfahren vom Steuergeheimnis geschützter Daten Dritter Kenntnis erlangen soll. Das ist regelmäßig in Fällen der Beihilfe oder der Mittäterschaft notwendig oder wenn bei Zeugen eine Durchsuchung durchzuführen ist.
Beispiel:
Gegen A wird ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des B geführt. Entgegen den obigen Vorgaben wurden nicht die notwendigen Informationen und Daten aus der Ermittlungsakte des B in die Ermittlungsakte des A überführt, wodurch bei A nicht genügend der Anfangsverdacht plausibilisiert ist, da die vorsätzliche, rechtwidrige Haupttat fraglich bleibt. Deshalb verlangt der Ermittlungsrichter, der im Vorgang des Teilnehmers A zu entscheiden hat, die Zuziehung der Ermittlungsakte des Täters B.
Auf die Bestimmung der Anwendungsreichweite des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO wirkt sich aus, dass der zuständige Ermittlungsrichter vor Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen stets sorgfältig zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen einer Durchsuchung rechtlich und sachlich vorliegen (vgl. Hadamitzky in Satzger/Schluckebier/WidmaierStPO, 5. Aufl. 2023, § 105 Rz. 3). Bei dieser umfassenden Prüfung sind auch alle bislang bekannten Tatsachen einzubeziehen, die einen materiellen Straftatbestand möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfG v. 29.11.2004 – 2 BvR 1034/02; Tormöhlen, AO-StB 2016, 12, 15). Dem Richter sind deshalb zu dieser Überprüfung des Tatvorwurfes alle relevanten Informationen und Tatsachen vorzulegen, um im Interesse der durch Art. 13 GG geschützten Personen eine objektive Entscheidung über die Notwendigkeit der richterlichen Anordnung einer Durchsuchung vorzunehmen (vgl. BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvR 1619/00, NJW 2002, 1941, 1942). Der Richter hat hierbei, wie nachfolgend noch gezeigt wird, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu der Erheblichkeit der Durchsuchungsmaßnahme und den damit zusammenhängenden Informationen und Daten zu treffen (vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 105 Rz. 2).
Beachten Sie: Ein Vorenthalten dieser notwendigen Informationen oder Schwärzen durch die Strafverfolgungsbehörden ist insoweit stets unzulässig.
Dieser sich aus Art. 13 Abs. 1 GG ergebende verfahrensrechtliche Anspruch auf sorgfältige, gewissenhafte und vollständige Überprüfung einer bestehenden Eingriffsbefugnis in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung führt zur verfassungskonformen Anpassung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO, wonach auch solche vom Steuergeheimnis geschützten Daten, die Teilnehmer, andere Täter oder sogar unbeteiligte Dritte als Zeugen betreffen, dem Ermittlungsrichter zu offenbaren sind. Der Umfang der Offenbarung ergibt sich auch hier aufgrund der oben zur Mittäterschaft hergeleiteten Ergebnisse.
Beachten Sie: Eine Vorabentscheidung der Strafermittlungsbehörden über eine Relevanz oder Bedeutung von geschützten Daten steht diesen zu keinem Zeitpunkt zu; insb. ist dem Ermittlungsrichter auch der Name eines Anzeigenerstatters mitzuteilen (vgl. LG Lüneburg v. 6.10.2015 – 26 Qs 194/15, OS 2). Alle in die Ermittlungsakte aufgenommen Erkenntnisse sind ungefiltert (keine Schwärzungen, keine Entheftungen) dem Ermittlungsrichter vorzulegen, ein Informationsgefälle zwischen der Ermittlungsbehörde und dem Ermittlungsrichter ist rechtlich unzulässig (vgl. LG Lüneburg v. 6.10.2015 – 26 Qs 194/15, OS 1). Der Ermittlungsrichter kann die Strafverfolgungsbehörden nach §§ 202, 219 Abs. 1, 221, 214 Abs. 4 StPO verpflichten, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, in dem keine Schwärzungen oder Entheftungen vorhanden sind (vgl. weiterführend Lehmann, StraFo 2016, 326, 328).