1. Abgrenzung zwischen Steuergeheimnis und Vorgaben der StPO
Zwar ist damit geklärt, dass das Steuergeheimnis partiell einer Übernahme von geschützten Daten zugunsten neuer bzw. ausgesteuerter Ermittlungsverfahren nicht entgegensteht, jedoch ergeben sich weitere praktische und rechtliche Probleme mit dem Steuergeheimnis bei Durchsuchungsbeschlüssen. Auch hier ist die rechtliche Abgrenzung zwischen dem Steuergeheimnis und den Vorgaben der StPO noch nicht hinreichend geklärt.
2. Weitergabe von Ermittlungsakten innerhalb der Strafverfolgungsbehörden
Bei der Analyse ist zunächst zu berücksichtigen, dass nach streitiger aber richtiger Rechtsansicht neben den Daten Dritter auch alle Daten und Informationen vom Anwendungsbereich des Steuergeheimnisses i.S.d. § 30 Abs. 1 AO einbezogen sind, die innerhalb desselben Steuerstrafverfahrens weitergeleitet werden sollen (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 70 [10/2019]; Krömker in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 30 AO Rz. 35 [11/2022]; a.A. Perron/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 355 Rz. 20). Das Steuergeheimnis ist mithin umfassend zu verstehen, bei dem die in der Ermittlungsakte enthaltenen steuerlichen Daten, Informationen und Erkenntnisse Dritter und zugleich des Beschuldigten geschützt sind. Daher unterliegen die Ermittlungsakten des Beschuldigten auch dem Schutz des Steuergeheimnisses, wenn sie an die Staatsanwaltschaft oder das Ermittlungsgericht weitergeleitet werden sollen. Eine Weiterleitung ist demzufolge nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Buchst. b AO möglich.
Das Ergebnis ist dann eindeutig, wenn die Ermittlungsakten des Beschuldigten und die darin enthaltenen Ermittlungserkenntnisse an die Staatsanwaltschaft oder andere Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden und die durch das Steuergeheimnis geschützten Daten ausschließlich den Beschuldigten betreffen, da § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO primär diesen strafprozessualen Verfahrenslauf regelt.
Entsprechend den obigen Ausführungen erfasst aber § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO auch die Möglichkeit, bei einem Anfangsverdacht aus einem bestehenden Ermittlungsverfahren ein weiteres Ermittlungsverfahren auszugründen und die dort gewonnenen Erkenntnisse zu überführen oder von Beginn an wegen der besonderen Täterschaftsformen oder einer Teilnahme die Ermittlungen gegen die unterschiedlichen Beschuldigten gleichzeitig zu führen. Fraglich ist aber insoweit, ob die unterschiedlichen Ermittlungsakten dem anderen Ermittlungsverfahren hinzugezogen werden dürfen.
Beispiel:
Die Steuerfahndung 1 ermittelt gegen A wegen Steuerhinterziehung. Sie hat wegen B unvollständiges Kontrollmaterial an die Steuerfahndung 2 übersandt, da eine Hilfeleistung durch B möglich erscheint. Die Steuerfahndung 2 will überprüfen, ob ein Anfangsverdacht gegen B erfüllt ist. Dafür benötigt sie die Akte aus dem Ermittlungsverfahren gegen A.
Vor dem Hintergrund der oben herausgearbeiteten Ergebnisse können die zuvor gewonnenen Ermittlungserkenntnisse in das jeweils andere Ermittlungsverfahren überführt werden. Da jedoch nicht immer dieselbe Steuerfahndung oder Staatsanwaltschaft für die weiteren Ermittlungsverfahren zuständig ist, können diese Verfahren nur betrieben werden, wenn § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO die Befugnis auf Weitergabe der Ermittlungsakten innerhalb der Strafverfolgungsbehörden erfasst. Aufgrund der obigen Herleitungen und Begründungen ist auch diese Weiterleitung von Ermittlungsakten zulässig, wenn diese in einem unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zu dem weiteren Verfahren steht und dadurch ein zweckgebundener Austausch vorliegt. Hierbei ist eine ex-ante-Beurteilung vorzunehmen (vgl. Schmitz in Münchner Kommentar StGB, 4. Aufl. 2022, § 355 Rz. 63), ob eine weitergegebene Information zur Durchführung des strafprozessualen Verfahrens notwendig ist.
Beachten Sie Die zu übermittelnden Informationen dürfen somit keine überschießende Tendenz haben.
Damit sind alle die Informationen nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO übermittlungsfähig, die zur Aufklärung des Sachverhaltes und zur Erreichung des Ermittlungszweckes notwendig sind (Perron/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 355 Rz. 20). Was notwendig ist, ergibt sich aus den obigen Ergebnissen zur Mittäterschaft.
Beachten Sie: Bei Anwendung dieser Vorgaben können auch steuerlich geschützte Daten von Dritten – wie z.B. betriebsbezogene Angaben, Vermögensverhältnisse, Familienverhältnisse usw. – weitergabefähig sein, auch wenn der Dritte nicht zugleich Beschuldigter ist (vgl. Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 30 AO Rz. 156 [9/2022]).
3. Prüfung durch Richter
Unkritisch ist die Preisgabe der Ermittlungserkenntnisse des Beschuldigten an den Ermittlungsrichter, wenn die vom Steuergeheimnis geschützten Daten ihn selbst betreffen, da dies der originäre Anwendungsbereich des § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ist.
So eindeutig das Ergebnis bei dem Beschuldigten selbst ist, so streitig wird in der Praxis der Ermittlungsbehörden und der Ministerialbürokratie die Konstellation behandelt, bei der der Ermittlungsrichter in einem Ermittlungsverfahren vom Steuergeheimnis geschützter Daten Dritter Kenntnis erlangen soll. ...