Ausgründung von Ermittlungsverfahren und Durchsuchungsbeschlüssen
[Ohne Titel]
RD a.D. Dr. Henning Wenzel
Für die Strafverfolgungsbehörden ist nicht nur vielfach die tatsächliche Erkenntnisgewinnung in den Ermittlungsverfahren schwierig, sondern auch die Verwertbarkeit. Diese wird u.a. durch das Steuergeheimnis hemmend beeinflusst und führt bei vielen Strafverfolgern zu Unsicherheiten. Ein besonderes Problem in der Praxis besteht, wenn es sich um Mehrpersonenverhältnisse handelt, die strafprozessual zu führen sind. Das Steuergeheimnis wirkt sich durch seinen weiten Schutzbereich auf die Art und Weise der Verwertung von Informationen aus. Unsicherheiten bestehen insoweit bei Aufnehmen von weiteren gegen Dritte gerichtete Ermittlungsverfahren sowie bei Durchsuchungsbeschlüssen, sobald Dritte involviert werden.
I. Steuergeheimnis vs. Täterschaft und Teilnahme
1. Bedarf der Überführung von vorhandenen Erkenntnissen in ein weiteres Ermittlungsverfahren
In der Ermittlungspraxis entstehen wiederholt Situationen, in denen sich im Zuge eines Ermittlungsverfahrens zusätzliche Anhaltspunkte ergeben, die auf weitere Tatbeteiligte schließen lassen.
Beispiel:
Die Bußgeld- und Strafsachenstelle ermittelt gegen den Arzt A wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, da er zu Unrecht steuermindernde Ausgaben mit gesetzeswidrigen Steuersparmodellen erklärt habe. Während seiner Vernehmung räumt er die objektiven Umstände ein, weist aber ausdrücklich und substantiiert nach, dass er diese Steuersparmodelle nur deshalb wahrgenommen habe, weil sein Steuerberater B ihn auf diese Modelle aufmerksam gemacht habe und er wegen der ausführlichen Beratung davon ausgegangen sei, die Modelle seien legal. Hier sind Ermittlungen wegen einer mittelbaren Täterschaft des B angezeigt.
In solchen Situationen, in denen sich der Ermittlungsradius auf weitere potentielle Beschuldigte erweitert, stellt sich die Rechtsfrage, ob die gewonnenen Erkenntnisse des Ausgangsverfahrens in ein neues Ermittlungsverfahren überführt und dort in welchem Umfang genutzt werden dürfen.
2. Zulässigkeit über § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO
Die Praxis hat bislang zu Recht die neuen Ermittlungsverfahren initiiert und dabei die vorher erzielten Steuerdaten im neuen strafprozessualen Ermittlungsverfahren verwandt, auch wenn dem Autor bislang keine Veröffentlichung oder Gerichtsentscheidung bekannt ist, in der die rechtliche Grundlage zu dieser Überführung von steuerlichen Daten überprüft wurde; vielmehr setzt diese Praxis stillschweigend eine Erlaubnis voraus.
Die rechtliche Befugnis zur Offenbarung und Verwendung von weiterführenden Tatsachen ergibt sich aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO, auch wenn die Nutzung der steuerlichen Daten nicht in demselben Verfahren weiterverwandt werden. Nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO dürfen steuerlich geschützte Daten offenbart werden, wenn sie der Durchführung eines Verfahrens i.S.d. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO dienen. Nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO sind davon auch die Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat oder wegen eines Bußgeldverfahrens erfasst.
Bereits der Wortlaut "dienen" beschreibt als unbestimmter Rechtsbegriff, dass eine Sache für eine andere Sache nützlich, vorteilhaft, hilfreich sein kann oder ist, womit ein Unterstützen und Helfen zu verstehen ist, mit dem ein Ziel erreicht werden kann (vgl. www.duden.de/Rechtschreibung/dienen). Eine solche unterstützende, helfende Funktion liegt bei wörtlicher Auslegung des Dienens im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal Offenbaren in einem unmittelbaren funktionalen Zusammenhang zwischen der Offenbarung und der Verfahrensdurchführung vor (vgl. Pätz in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 30 Rz. 123), wozu die relevanten geschützten Daten die tatbestandliche Prüfung im neuen Verfahren erst ermöglichen, erleichtern oder auf eine festere Grundlage stellen können (vgl. Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 73) bzw. für das neue Verfahren nützlich sind (vgl. Nr. 4.1 AEAO zu § 30 AO). Aus dieser Wortlautauslegung ergibt sich der Rückschluss, dass die steuerlich geschützten Daten auch in ein neues Ermittlungsverfahren überführt werden dürfen.
Diese Sichtweise wird zudem durch die Historie der Gesetzgebung gestützt, nach der das Steuergeheimnis nicht der Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen entgegenstehen solle (vgl. BT-Drucks. IV/1982, 101), das Steuergeheimnis dürfe nicht die richtige und vollständige Besteuerung auch Dritter behindern (vgl. BT-Drucks. 7/4292, 17).
Eine systematische und teleologische Auslegung stützt zudem das gefundene Ergebnis. Zwar soll das Steuergeheimnis die Regel und die nach § 30 Abs. 4 und 5 AO normierten Durchbrechungen die gesetzlich begrenzten Ausnahmen sein, jedoch hat der Gesetzgeber gerade durch die Regelung des § 30 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b AO eine weitreichende Beschränkung des Steuergeheimnisses eingeführt, die auf der Konkordanz zwischen dem informellen Selbstbestimmungsrecht des Steuerpflichtigen und dem verfassungsrechtl...