Die vorsätzliche Verkürzung von Kirchensteuer stellt keine Steuerhinterziehung nach § 370 AO und deren leichtfertige Verkürzung keine leichtfertige Steuerverkürzung nach § 378 AO dar. Denn die Kirchensteuer stellt keine Steuer i.S.d. § 3 AO dar, weil die AO nur für Steuern gilt, die durch Bundesrecht oder EU-Recht geregelt sind. Die Kirchensteuer basiert jedoch auf Landesrecht. Zwar haben die Bundesländer die AO hinsichtlich des Besteuerungsverfahrens weitgehend für anwendbar erklärt (vgl. die Nachweise bei Oellerich in Gosch, AO/FGO, § 1 AO Rz. 23 [Januar 2022]; z.B. § 6 Abs. 1 KiStRG Niedersachsen, § 7 KiStG Berlin, § 8 KiStG NRW, § 12 Abs. 1 Sächsisches KiStG).
Nach Art. 4 Abs. 3 EGStGB bestünde darüber hinaus die Möglichkeit eines landesrechtlichen Verweises auf die straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften (u.a. §§ 370, 378 AO). Dies ist jedoch derzeit in keinem einzigen Bundesland der Fall (vgl. Deutschendorf, PStR 2022, 115; Gehm, AO-StB 2021, 373; Peters / Bertrand in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 77 [Februar 2022]; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 386 AO Rz. 21 [Februar 2021]; Tormöhlen in Korn, EStG, § 51a Rz. 24 [Juli 2021]).
Bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist allerdings, ob die vorsätzliche Verkürzung von Kirchensteuer als Betrug strafbar ist. Der BGH hat dies bislang offengelassen (BGH v. 17.4.2008 – 5 StR 547/07, wistra 2008, 310; v. 25.3.2021 – 1 StR 242/20, wistra 2021, 366).
In der Lit. ist die Frage umstritten. Teilweise wird angenommen, dass der Betrugstatbestand greife, weil nach Art. 4 Abs. 3 EGStGB die Vorschriften des StGB über Betrug, Hehlerei und Begünstigung die Vorschriften des Landesrechts, die bei Steuern die Strafvorschriften der AO für anwendbar erklären oder entsprechende Vorschriften wie die AO enthalten (vgl. Rönnau, wistra 1995, 48; Hellmann, wistra 2004, 201; Ziemann in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 369 AO, Rz. 9; Meyberg in Graf, BeckOK/OWiG, Art. 4 EGStGB Rz. 2 [Juli 2022]; Putzke in MünchKomm/StPO, 1. Aufl. 2018, Art. 4 EGStGB Rz. 6; wohl auch Schützeberg, wistra 2009, 31 ff.).
Andere Autoren vertreten dagegen die Auffassung, dass Betrug nicht in Frage komme, da in Bezug auf § 370 AO tatbestandliche Exklusivität vorliege, der Bundesgesetzgeber die Kirchensteuer als von der AO grundsätzlich nicht erfasst ansehe und die Landesgesetzgeber von ihrer Gesetzgebungsgebungsbefugnis jedenfalls für das Strafrecht insoweit keinen Gebrauch mehr machen (vgl. Randt in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 386 AO Rz. 31; Kemper in Rolletschke/Kemper/Roth, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 43 [Juni 2017]; Peters / Bertrand in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 77 ff. [Februar 2022]; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 370 AO Rz. 242 ff. [Juli 2019]; Krumm in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 370 AO Rz. 78b [Mai 2022]; Wollschläger in Hüls/Reichling, Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2020, § 386 AO Rz. 16; Klaproth in Schwarz/Pahlke, § 386 AO Rz. 21 [Mai 2021]; Tormöhlen in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 386 AO Rz. 21 f. [Februar 2021]; tendenziell auch Seipl in Gosch, § 386 AO Rz. 16 [August 2011]; wohl auch Bilsdorfer in Suhr/Naumann/Bilsdorfer, 4. Aufl. 1986, Rz. 11).
Im praktischen Ergebnis spielt es allerdings keine wirklich bedeutsame Rolle, ob die Verkürzung von Kirchensteuer Betrug darstellt. Denn die Kirchen erheben i.d.R. keinen Anspruch auf eine strafrechtliche Verfolgung (Peters / Bertrand in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 386 AO Rz. 80 [Februar 2022]).
Gleichwohl ist das Konkurrenzverhältnis zwischen Steuerhinterziehung und Betrug sowohl von hohem dogmatischen Interesse als auch – auf anderem Gebiet – von praktischer Bedeutung. Dies zeigt die Strafverfolgung der sog. Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäfte.