1. Wesensmerkmale von Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäften
Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäfte bilden exemplarische Fälle der Konkurrenz zwischen (bandenmäßigem) Betrug und Steuerhinterziehung. Damit sind – vereinfacht ausgedrückt – Fallgestaltungen gemeint, in denen ein Steuerausländer kurz vor der Hauptversammlung der AG, also dem Dividendenstichtag, Aktien an eine inländische Bank verkauft. Der erwerbenden Bank fließen sodann die Dividenden abzgl. der KapESt zu. Unmittelbar danach verkauft die Bank die Aktien zurück, wobei der Erwerber profitiert, weil der zu zahlende Kaufpreis nunmehr niedriger ist als der zuvor gezahlte und sein Gewinn nicht mit deutscher Steuer belastet ist (vgl. hierzu BFH v. 2.2.2022 – I R 22/20, AO-StB 2022, 143 = DStZ 2022, 298; Rau, DStR 2021, 6; BVerfG v. 22.11.2021 – 2 BvR 1872/21, DStZ 2022, 431; Schmid, wistra 2022, 265; Tormöhlen in Korn, EStG, § 36a Rz. 1 [März 2020]). Bei Cum/Ex-Geschäften liegen i.d.R. Leerkäufe (vgl. § 53 WpHG) zugrunde; d.h., die Aktien werden verkauft, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geliefert.
2. Behandlung durch Strafgerichte in der Vergangenheit
In der Vergangenheit haben sich die Strafgerichte mit vielen Varianten solcher Geschäftsgestaltungen befasst. In dem vom BGH im Urteil v. 28.7.2021 (BFH v. 28.7.2021 – 1 StR 519/20, BGHSt 66, 182) entschiedenen Fall hatte eine inländische Bank jeweils kurz vor oder am Hauptversammlungstag für ihren eigenen Bestand von einem Leerverkäufer außerbörslich große Stückzahlen an Aktien verschiedener Gesellschaften gekauft, die erst nach der Kupontrennung geliefert wurden. Die Leerkäufe sicherte sie zeitgleich durch den außerbörslichen Verkauf entsprechender Derivate ab, die unter Einrechnung eines Dividendenlevels so bepreist waren, dass die Bank daraus Profite generierte. Diese Geschäfte hatte der Angeklagte eingefädelt. Er hatte das Portfolio der in der Saison zu handelnden Aktien einschließlich der zu erwerbenden Volumina zusammengestellt und die Absprachen mit den Leerverkäufern, den Stückegebern und den zwischengeschalteten Brokern vorbereitet. Die Bank erlangte durch die Geschäfte jeweils eine Dividendenkompensationszahlung in Höhe der Nettodividende. Sie stellte sich – insoweit als ihre eigene Depotbank agierend – selbst Steuerbescheinigungen nach § 45a EStG aus, in denen die auf eine Bruttodividendensumme anfallende Steuer für alle Leerverkäufe von insgesamt über 37 Mio. EUR als anrechenbare KapESt. nebst SolZ ausgewiesen war. Die für die Bank verantwortlich Handelnden reichten für die Organträgerin der Bank eine KSt-Erklärung ein und fügten die wahrheitswidrigen Steuerbescheinigungen bei. Das FA rechnete die geltend gemachten Steuerabzugsbeträge an und zahlte den entsprechenden Betrag vollständig aus.
3. Behandlung durch den BGH
Der BGH geht in st. Rspr. selbst dann, wenn ein Steuerschuldverhältnis zwecks Erlangung steuerlicher Vorteile komplett fingiert ist, von Steuerhinterziehung und nicht (mehr) von Betrug aus, obwohl § 385 Abs. 2 AO dies nahelegen könnte. Denn danach sind bei dem Verdacht einer Straftat, die unter Vorspiegelung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts gegenüber der FinBeh. oder einer anderen Behörde auf die Erlangung von Vermögensvorteilen gerichtet ist und kein Steuerstrafgesetz verletzt, bestimmte Vorschriften über das Steuerstrafverfahren entsprechend anzuwenden. Früher hatte der BGH in solchen Fällen von Vorspiegelungstaten Betrug angenommen (BGH v. 17.7.1970 – 2 StR 277/70, BB 1972, 693; v. 11.4.1972 – 1 StR 45/72, NJW 1972, 1287), später jedoch seine Rspr. geändert und sowohl im umsatz- als auch im ertragsteuerlichen Bereich bei Vorspiegelungstaten § 370 AO angewandt (BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100; v. 3.11.1989 – 3 StR 245/89, wistra 1990, 58; vgl. ferner BFH v. 25.10.2005 – VII R 10/04, BStBl. II 2006, 356 v. 22.7.2014 – VII R 38/13, BFH/NV 2014, 2014, 1721; Rüping in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 385 AO Rz. 23 [Oktober 2002]; Tormöhlen, DStZ 2006, 202).
So wertet der BGH auch die Cum/Cum- und Cum/Ex-Geschäfte zutreffend als Steuerhinterziehung. Denn anzurechnen sind im Zusammenhang mit Dividenden und Dividendenkompensationszahlungen stehende KapESt und SolZ nach § 31 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nur, wenn sie auf Kapitalerträge tatsächlich erhoben worden sind. Erhoben ist die KapESt, wenn sie von dem Entrichtungspflichtigen für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten worden ist. Auf die Abführung der einbehaltenen KapESt an das FA kommt es zwar nicht an (vgl. BFH v. 23.4.1996 – VIII R 30/93, DStZ 1997, 122; FG Hessen v. 10.3.2017 – 4 K 977/14, EFG 2017, 656; Gosch in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl. 2022, § 36 Rz. 7a; Lammers in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 36 EStG Rz. 39 [November 2021]; Tormöhlen in Korn, EStG, § 36 Rz. 33 [Mai 2020]). Voraussetzung für die Anrechnung ist jedoch stets, dass die betroffene Steuer tatsächlich ordnungsgemäß einbehalten worden ist. Hierzu hatte der Angekl. falsche Angaben gemacht und waren Steuern in beträchtlicher Höhe verkürzt worden.
4. § 370 AO als abschließende Sonderregelung, die den allgemeinen Betrugstatbestand verdrängt
Wenn nun eine Gruppierung von mindestens drei Personen, die nach st. Rspr. eine Bande bildet ...