Die fachlichen Anforderungen an Steuerkanzleien und ihr Personal sind nicht nur ungebrochen hoch, sondern mit steigender Komplexität des Steuerrechts und der Rechtsprechung sind allein diese fachlichen Fragen für eine einzelne Person nicht mehr zu bewältigen. Viele Kanzleien spüren schon seit Jahren, dass das Modell Einzelkanzlei nicht mehr der unternehmerische Standard für die Zukunft ist. Digitalisierung der Arbeitsprozesse und der Zusammenarbeit mit Mandanten wurde durch die Corona-Krise von einem strategischen Thema zur akuten Notwendigkeit.
Doch neben diesen im Kernbereich der steuerlichen Tätigkeit liegenden, steigenden Anforderungen gibt es weitere Herausforderungen, die von Steuerberatern und dem gesamten Kanzleiteam ganz neue Handlungs- und Lösungsmuster erfordern – die bisher in diesem Ausmaß in einer Kanzlei zwar hilfreich, aber praktisch nicht unbedingt nötig waren, um "gut über die Runden zu kommen".
Seit einiger Zeit gibt es eine Reihe von Entwicklungen, die für Steuerkanzleien existenziell sind und die eines aktiven Agierens von Steuerkanzleien bedürfen, wollen diese nicht zum hilflosen Spielball externen Einflüsse werden:
Die Digitalisierung verändert – seit Jahren und fortwährend – grundlegend alle Bereiche des Lebens und auch der Wirtschaft. Wirtschaftsforscher erklären den globalen Welthandel in seiner aktuellen Form als Auslaufmodell, Innovationen werden nicht mehr ausschließlich von Unternehmern, sondern zunehmend von Kunden getrieben (Prosuming), längst beeinflussen das Internet und die digitalen Medien nicht nur unser privates und berufliches Informationsverhalten und wo wir einkaufen, zunehmend werden alle Bereiche des Lebens durch das Internet beeinflusst. Alle Unternehmen müssen sich aktiv mit dem Paradigmenwandel durch die Digitalisierung auseinandersetzen.
Eine Studie der Universität Oxford sieht über die Hälfte der Jobs in Deutschland durch die Digitalisierung gefährdet, darunter steuerberatende Berufe. Zudem gibt es heute schon Länder in der EU, in denen die Finanzverwaltung Zahlungen der Steuerpflichtigen direkt mit Steuernummer erfasst – mit dem Ziel einer besseren Durchsetzung der Steuererhebung und dem Nebeneffekt, dass eine einfache Buchhaltung als "Nebenprodukt" kostenlos für den Steuerpflichtigen abfällt. In vielen Regionen steigt seit einiger Zeit die Preissensibilität der Mandanten für den Bereich Finanzbuchhaltung. Außerdem arbeiten Internetkonzerne an Businessmodellen, die ihre Informationsdienstleistungen auf das Thema Buchhaltung erweitern sollen. Denn bargeldlose und mobile Bezahlmethoden werden als Ausgangspunkt einer Kette von Informationsdienstleistungen rund um Zahlungsvorgänge gesehen, die konsequent weitergedacht mit Dienstleistungen wie Finanzbuchhaltung weitergeführt wird. Eine Entwicklung, von der zunächst Banken, in Zukunft aber auch Steuerkanzleien betroffen sind.
Zudem haben Steuerkanzleien in (naher) Zukunft auch mit weniger Schutz durch das Berufsrecht, mehr Wettbewerb aus dem EU-Ausland und von berufsfremden gewerblichen Unternehmen zu rechnen. Dazu kommt durch den auch in Verwaltungen ausgeprägten Effizienzzwang, die Tendenz zu E-Governance auch im Bereich Steuern und Buchhaltung (Stichwort: vorausgefüllte Steuererklärung). Bisher hat die Finanzverwaltung mittelbar auf Arbeitseinsatz in Steuerkanzleien gesetzt, um Steuern korrekt zu erheben, künftig wird man zunehmend auf automatisierte Prozesse und Systeme setzen, was dem Kerngeschäft – der Steuerdeklaration – den Boden entzieht, zumindest für bestimmte Zielgruppen, insbesondere kleinere Unternehmen und Freiberufler, die für viele kleine Kanzleien zur Kernmandantschaft zählen. Die Finanzverwaltung wird – aufgrund eigener Zwänge – somit künftig vom wichtigsten Auftraggeber zum potenziellen Wettbewerber für Steuerkanzleien.
Zu guter Letzt kommt zu diesen Herausforderungen von der Mandantenmarkt- und Wettbewerbsseite, dass der Personalmarkt für steuerberatende Berufe seit Jahren zusehends enger wird.