1.1 Zu viel zu tun – leider keine Zeit für Marketing!
Die Marketing-Ikone Philip Kotler hat bereits 1977 einen Aufsatz im Journal of Marketing veröffentlicht, der sich mit Marketing speziell für Kanzleien befasst. Auch heute hat dieses grundlegende Werk bemerkenswerte Aktualität und ist eine exzellente Handlungsanleitung für Praktiker. Einer der wesentlichen Punkte ist folgende Erkenntnis: Marketing sollte denjenigen Personen in der Kanzlei überlassen werden, die diesbezüglich Talent haben und Interesse an der Umsetzung entwickeln. So einfach und so überzeugend das klingt: Es hängt daran aber auch die nötige Konsequenz, dass diese Marketing-Person (in kleinen und mittleren Kanzleien üblicherweise auf Partner-Ebene) auch Zeit und Budget zur Verfügung gestellt bekommt, um die Marketing-Ziele der Kanzlei erreichen zu können – d. h. im Umkehrschluss, dass weniger Zeit bleibt, um Mandantenarbeit zu leisten. In den letzten Jahren hat die Zahl der "Marketing-Profis", für die in Kanzleien neue Stellen geschaffen wurden, zugenommen. Diese kümmern sich üblicherweise um den Web- und Social Media-Auftritt der Kanzleien, sowie Newsletter und Mandantenveranstaltungen (online und offline).
Der Umstand, dass grundsätzlich unter normalem Kanzleibetrieb niemand Zeit für Marketing hat, muss klar analysiert und im Vorfeld gelöst werden. Denn sonst gerät unweigerlich die Marketingarbeit der Kanzlei "unter die Räder", weil intuitiv Arbeit für Mandanten immer höher priorisiert wird als Kanzleientwicklung oder Marketing und Vertrieb. Diesem Umstand muss die Kanzleiführung auf struktureller Ebene begegnen – nämlich indem, wie Kotler schon 1977 vorschlägt, Zeit und Budget bereitgestellt werden, um Marketing-Arbeit zu erledigen. Diese Zeit- und Geldbudgets müssen folglich von der gesamten Kanzlei erarbeitet werden.
Marketingarbeit auf möglichst viele Schultern verteilen
In der Praxis haben sich Ansätze bewährt, Marketingarbeit auf möglichst viele Schultern zu verteilen, damit nicht zu viel Umsetzungsverantwortung auf einer Person lastet. Berücksichtigt werden sollte dabei, dass es jedem selbst überlassen wird, wie – mit welchen Methoden und Maßnahmen – vereinbarte Marketingziele wie Mehrumsatz oder Gewinnung von Neumandanten erreicht werden. Außerdem sollte für die nötige Unterstützung mit professionellen Marketingressourcen und Know-how sowie ggf. Training/Coaching gesorgt werden.
Es ist Aufgabe der Kanzleiführung, eine Unternehmenskultur und ein Anreizsystem zu schaffen, die die Marketing-Aktivitäten für die beteiligten Personen attraktiv werden lassen, wie z. B.:
- Marketing-Bemühungen werden schon kurzfristig honoriert (finanzielle und nichtfinanzielle Anerkennung).
- Marketing-Erfahrungen werden in kurzen Team- oder Partnersitzungen ausgetauscht und bewertet.
- Die Kanzleiführung geht mit gutem Beispiel voran.
- Es werden mit professionellem Marketingmaterial sowie ggf. Training, Beratung und Coaching die Marketingaktivitäten unterstützt.
- Marketingziele sind Bestandteil der regelmäßigen Zielvereinbarungen – sei es auf Partner- oder Mitarbeiterebene.
Es gibt viele Möglichkeiten für attraktives und zeitgemäßes Marketing. Die strategischen Kanzlei-Ressourcen lassen sich überwiegend langfristig rentabel entwickeln. Langfristige Ziele helfen Ihrer Kanzlei, unternehmerisch effektiv zu agieren. Wenn Sie es schaffen, aus gemachten Fehlern und erzielten Erfolgen aktiv im gesamten Team zu lernen und so Marketing-Intelligenz in der Kanzlei aufzubauen und zu etablieren, stellen Sie Ihre künftigen Marketing-Aktivitäten von vornherein auf eine Erfolg versprechende Basis.
1.2 Hören Sie nie auf, exzellente Arbeit für Ihre Mandanten zu leisten!
Neuen Mandanten wird berechtigterweise viel Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet. Vergessen Sie darüber hinaus nicht, weiterhin exzellent für Ihre aktuelle Mandantschaft zu arbeiten. Denn nichts ist ineffektiver, als neue Mandanten zu akquirieren und aufgrund von mangelnder Organisation, zu wenig Kapazitäten oder zu wenig bzw. zu schlechter Delegation die vorhandenen Aufträge zu vernachlässigen.
Trennen Sie sich von Mandanten, die nicht 100 % zu Ihnen passen – mindestens einmal pro Jahr
Ein wichtiger organisatorischer Schritt, die Arbeitsauslastung der Kanzlei sinnvoll zu gestalten und Raum für neue Wunschmandate zu haben, die in das strategische Kanzleiportfolio passen, ist es, sich von Mandanten zu trennen, mit denen – aus welchen Gründen auch immer – die Zusammenarbeit nicht im beiderseitigen Sinne ist. Sie sollten nur Mandatsbeziehungen aufrecht erhalten, die eine Win-Win-Win-Situation ermöglichen: D. h., der Mandant sollte von der Zusammenarbeit profitieren, die Kanzlei sollte mit der Arbeit für den Mandanten einen Gewinn erwirtschaften, und auch für die am Mandat beteiligten Personen in der Kanzlei sollte die Zusammenarbeit mit der Mandantschaft im fachlichen wie persönlichen Bereich passen.
In jeder Kanzlei sammeln sich – insbesondere am unteren Ende der Mandatsliste – Mandanten, bei denen diese 3-fache Passung nicht funktioniert. Häufig kann hier an jeder der 3 beteiligten Parteien nachjustiert werden, z. B. indem neu verhandelt...