Leitsatz
1. Täter einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S.d. § 378 AO kann auch derjenige sein, der die Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen wahrnimmt.
2. Die fünfjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO greift daher auch dann ein, wenn eine Steuerfachangestellte der vom Steuerpflichtigen beauftragten Steuerberatungsgesellschaft den Gewinn des Steuerpflichtigen grob fahrlässig unzutreffend ermittelt und das FA diesen Gewinn der Steuerveranlagung zugrunde legt.
Normenkette
§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO , § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO , § 378 AO
Sachverhalt
Ein Chefarzt erhielt bestimmte Honorare von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) seit dem Streitjahr 1990 nicht mehr unmittelbar ausgezahlt. Stattdessen zahlte die KV an das Krankenhaus, das von diesen Zahlungen seine eigenen Ansprüche gegen den Arzt aus der Nutzung von Krankenhauseinrichtungen für Privatpatienten des Arztes abzog und dem Arzt dann den Restbetrag überwies.
Die auf die Betreuung von Ärzten spezialisierte Steuerberatungsgesellschaft behandelte die betreffenden Zahlungen aufgrund einer Weisung des Abteilungsleiters im Steuerbüro folgendermaßen: Bei Abrechnungseingang der KV wurden ein Erlös in Höhe des an das Krankenhaus gezahlten Betrags und in gleicher Höhe eine Betriebsausgabe für Abgaben an das Krankenhaus gebucht; bei Eingang der Restzahlung vom Krankenhaus sollte eine Minderung des Betriebsausgabekontos in Höhe des erhaltenen Betrags erfolgen.
Im Fall des Klägers verfuhr die bearbeitende Steuerfachgehilfin für die Jahre 1990-1993 zwar bei Abrechnungseingang entsprechend der Weisung des Abteilungsleiters; bei Eingang der Restzahlung buchte sie jedoch eine Einlage. Dementsprechend war der Gewinn der Jahre 1990-1993 zu niedrig ermittelt worden. Im Streitjahr 1990 handelte es sich um einen Betrag von 82.400 DM bei einem erklärten Gewinn von ca. 728.000 DM.
Bei Bearbeitung des Jahres 1994 fiel die fehlerhafte Behandlung auf und die Buchungen jenes Jahres wurden korrigiert. Für die Jahre 1990-1993 wurden berichtigte Einkommensteuererklärungen jedoch erst nach Eingang der Prüfungsanordnung im Januar 1996 abgegeben. Für das Jahr 1990 war in diesem Zeitpunkt die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen.
FA und FG gingen allerdings davon aus, es liege eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, so dass Festsetzungsverjährung noch nicht eingetreten sei.
Entscheidung
Dieser Auffassung schloss sich auch der BFH an. Die Sachbearbeiterin habe in hohem Maß fahrlässig und damit leichtfertig einen fehlerhaften Gewinn ermittelt und diesen in die Steuererklärung übernommen, wodurch eine Steuerverkürzung zugunsten des Arztes eingetreten sei.
Hinweis
1.Rechtssicherheit über die Festsetzung einer Steuer für einen bestimmten Veranlagungszeitraum besteht noch nicht ganz, wenn der Steuerbescheid bestandskräftig geworden ist. Denn dann sind in den Grenzen der Änderungsvorschriften der AO immer noch Korrekturen der Steuerfestsetzung möglich. Erst der Eintritt der Festsetzungsverjährung schafft Rechtsfrieden. Der Gesetzgeber hat eine Frist von vier Jahren seit Abgabe der Steuererklärung für ausreichend gehalten, um dem FA die umfassende Prüfung des Steuerfalls zu ermöglichen.
Mehr Zeit braucht das FA aber, wenn die Angaben in der Steuererklärung falsch sind. Wenn der Steuerpflichtige zugleich weniger Anspruch auf Vertrauensschutz hat, weil ihn selbst ein Verschulden daran trifft, dass fehlerhafte Angaben gemacht worden sind, verlängert sich die Frist für die Steuerfestsetzung auf 5 bzw. 10 Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO).
2. Die Steuererklärung wird zwar immer vom Steuerpflichtigen selbst unterzeichnet; gleichwohl kann er die Richtigkeit der Angaben meist nicht garantieren, wenn er einen Dritten bei der Erstellung der Erklärung hinzugezogen hat. Dennoch soll er nach der Vorstellung des Gesetzes deswegen nicht besser gestellt sein, denn die verlängerte Frist gilt auch dann, wenn infolge der vorwerfbaren Handlung eines Dritten die Steuer zu niedrig festgesetzt wird.
Gesetzestechnisch wird dies dadurch erreicht, dass eine Steuerhinterziehung (bei Vorsatz) bzw. eine leichtfertige Steuerverkürzung (bei grober Fahrlässigkeit) zugunsten des Steuerpflichtigen verlangt wird, die nach §§ 370, 378 AO grundsätzlich jeder begehen kann. Derjenige, der die Tathandlung begeht, muss dazu den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung voll erfüllen.
3. In der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung waren allerdings Zweifel daran geäußert worden, ob der Gesetzgeber diese Vorstellung im Fall der leichtfertigen Steuerverkürzung mit dem gegenwärtigen Gesetzestext auch wirklich erreicht hat. Tathandlung ist nämlich im Fall des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, dass der Täter gegenüber der Behörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Eine leichtfertige Steuerverkürzung begeht, wer als Steuerpflichtiger oder bei Wahrnehmung der Angelegenheiten eines Steuerpflichtigen handelt. Die Angaben in der Erklärun...