Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Erstattungszinsen nach § 233a AO sind steuerbare Einnahmen aus Kapitalvermögen.
2. Die Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 verstößt auch im Hinblick auf ihre rückwirkende Geltung nicht gegen Verfassungsrecht.
3. Erstattungszinsen sind keine außerordentlichen Einkünfte i.S. v. § 34 EStG.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, § 12 Nr. 3, § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nrn. 2, 3 und 4, § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010
Sachverhalt
Die Kläger hatten einen Kommanditanteil verkauft und dafür ESt gezahlt. Als der Kaufpreis Jahre später als uneinbringlich ausfiel, setzte das FA den Veräußerungsgewinn nachträglich auf 0 EUR fest. Die Kläger erhielten Erstattungszinsen, die das FA als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasste.
Die Klage der Kläger blieb erfolglos (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.1.2010, 10 K 2720/09, Haufe-Index 2305376, EFG 2010, 72).
Entscheidung
Die Revision zum BFH hatte ebenso wenig Erfolg. Im Einzelnen kann auf die Praxis-Hinweise verwiesen werden.
Hinweis
1. Der VIII. Senat des BFH hatte mit Urteil vom 15.6.2010, VIII R 33/07 (BFH/NV 2010, 1917, BFHE 230, 109) seine Rechtsprechung geändert und entschieden, dass Erstattungszinsen, soweit sie auf nicht abziehbare Steuern gem. § 12 Nr. 3 EStG entfallen, dem nicht steuerbaren Bereich zugehören. Der Gesetzgeber hatte mit dem JStG 2010 unmittelbar reagiert und in den § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG einen neuen Satz 3 hineingeschrieben, wonach Erstattungszinsen i.S. v. § 233a AO Erträge i.S. v. Satz 1 sind.
2. Gleichwohl war in der Literatur der Gedanke aufgekommen, der neue Satz 3 des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG könne seinen Zweck nicht erreichen, weil das Regelungsziel im Gesetzeswortlaut keinen hinreichenden Anklang gefunden habe. Die Regelung berühre die vorrangige Wertung des § 12 Nr. 3 EStG nicht, die nach wie vor zur Steuerfreiheit von Erstattungszinsen führe. An diese Überlegungen hatten sich Hoffnungen geknüpft, der VIII. Senat werde trotz der Gesetzesänderung an der Steuerfreiheit der Erstattungszinsen festhalten.
3. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Der VIII. Senat hat sich (wie es sich für Gerichte gehört) an die gesetzliche Regelung gebunden gesehen. Der Gesetzgeber hat immer das letzte Wort. Zu prüfen bleibt dann allenfalls die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung, die der VIII. Senat hier bejaht hat. Im Einzelnen:
a) |
Mit der ausdrücklichen Normierung der Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010) hat der Gesetzgeber seinen Willen, diese der Besteuerung zu unterwerfen, klar zum Ausdruck gebracht. Dazu bedurfte es keiner Änderung des § 12 EStG. |
Dieser Wille wird durch die Entstehungsgeschichte der Neuregelung bestätigt. Aus dem Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines JStG 2010 (BT-Drs. 17/3549, 17) geht unmissverständlich hervor, dass die vorgenannte Rechtsprechungsänderung des VIII. Senats des BFH "zurückgedreht" werden sollte.
b) |
Die Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG ist verfassungsgemäß.
aa) |
Sie verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Nachzahlungszinsen sind durch § 12 Nr. 3 EStG der Sphäre der steuerrechtlich unbeachtlichen Einkünfteverwendung zugewiesen. Die Verwendung von Einkommen ist einkommensteuerrechtlich grundsätzlich irrelevant, während Erstattungszinsen – wie alle Zinsen – die Leistungsfähigkeit steigern. Es besteht keine Korrespondenz zwischen dem Abzugsverbot in § 12 Nr. 3 EStG und dem Einnahmetatbestand in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG. |
bb) |
Die Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. |
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Auch wenn man abweichend von den Gesetzesmaterialien in der Regelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 keine "Klarstellung" sieht, sondern davon ausgeht, dass die Anwendungsvorschrift eine echte Rückwirkung für bereits abgeschlossene Erhebungszeiträume bedeutet, ist die Vorschrift verfassungsgemäß. Das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, tritt namentlich dann zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte.
Mit der Neuregelung in § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 hat der Gesetzgeber die Rechtslage auch mit Wirkung für die Vergangenheit so geregelt, wie sie bis zum Ergehen des BFH-Urteils vom 15.6.2010 der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprach. Wegen des relativ kurzen Zeitraums zwischen der Veröffentlichung dieses Urteils (am 8.9.2010) und dem Inkrafttreten des JStG 2010 (am 14.12.2010) konnte sich kein Vertrauen in den Fortbestand der Rechtsprechungsänderung bilden; es wäre mangels Dispositionen der Steuerpflichtigen jedenfalls nicht schutzwürdig gewesen.
4. Man kann die Frage aufwerfen, ob Erstattungszinsen außerordentliche Einkünfte i.S. v. § 34 Abs. 1 und 2 EStG sind. In der Literatur wird dies vereinzelt vertreten. Der VIII. Senat des BFH ist diesen Überlegungen jedoch nicht gefolgt: