Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
G ist nach § 2 Abs. 1 UStG unternehmerisch tätig. Zu dem Rahmen seines Unternehmens gehört der Verkauf der Speisen. Für die Leistungen erhält er auch von seinen Kunden Entgelte.
Fraglich ist, ob G mit seinen Leistungen Lieferungen nach § 3 Abs. 1 UStG erbringt oder ob er sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG ausführt. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil in dem Fall, in dem er Lieferungen ausführt, der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. V. m. der Anlage 2 zum UStG unabhängig vom Leistungszeitpunkt zur Anwendung kommt (Lieferungen von Lebensmitteln). Liegt eine sonstige Leistung vor, ergibt sich eine Ermäßigung des Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG nur für die Zeit vom 1.7.2020 bis 31.12.2023, sodass für Umsätze vor dem 1.7.2020 oder nach dem 31.12.2023 der Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG i. H. v. 19 % anzuwenden wäre.
Coronabedingte Absenkung des Steuersatzes für Restaurantdienstleistungen
Aufgrund der Corona-Pandemie war der Steuersatz für die Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen für alle Umsätze ab dem 1.7.2020 auf den ermäßigten Steuersatz abgesenkt worden. Dies galt ausdrücklich aber nur für die Abgabe von Speisen, nicht für Getränke. Bei einheitlichen Angeboten (z. B. Frühstück) musste eine Aufteilung in ermäßigt besteuerte Speisen und regelbesteuerte Getränke vorgenommen werden, wobei die Finanzverwaltung eine pauschale Aufteilung von 70 % für Speisen und 30 % für Getränke zuließ. Nach mehrfacher Verlängerung ist die Absenkung des Steuersatzes zum 31.12.2023 ausgelaufen.
Nachdem der EuGH sich ausführlich mit der Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung bei der Abgabe verzehrfertiger Speisen auseinandergesetzt hatte und dort sowohl die Intensität der Zubereitung als auch die Ausführung weiterer – über die Abgabe hinausgehender – Tätigkeiten zu tragenden Gründen für die Annahme einer sonstigen Leistung gemacht hatte, war zum 1.7.2011 die MwStSystRL-DVO in Kraft getreten. Nach Art. 6 MwStSystRL-DVO ist die Herstellung der Speisen einschließlich des Transports zum Verbrauchsort nicht zur Beurteilung heranzuziehen, ob es sich um eine sonstige Leistung handelt. Erst wenn weitere, über Zubereitung und Transport hinausgehende Leistungen ausgeführt werden, kann eine insgesamt dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistung vorliegen.
Die Finanzverwaltung hat die Abgrenzungen übernommen und in Abschn. 3.6 UStAE aufgenommen. Damit ist für die Prüfung, ob G mit den in seinem Ladengeschäft ausgeführten Leistungen steuerermäßigte Lieferungen von Lebensmitteln ausführt oder ob er regelbesteuerte sonstige Leistungen ausführt, darauf abzustellen, ob er neben der Abgabe der verzehrfertigen Speisen die Bewirtung fördernde Infrastruktur zur Verfügung stellt.
Soweit G die Speisen außer Haus verkauft, überwiegen eindeutig die Lieferelemente; Elemente, die für eine Dienstleistung sprechen, liegen in diesem Fall nicht vor. Aber auch die Veräußerung der verzehrfertigen Speisen auf Einweggeschirr an den Stehtischen vor seinem Laden lässt noch nicht den Schluss zu, dass die Leistung zu einer sonstigen Leistung wird. Damit handelt es sich um Lieferungen, die nach § 3 Abs. 5a i. V. m. § 3 Abs. 6 UStG (bei Mitnahme) bzw. § 3 Abs. 7 Satz 1 UStG bei Verzehr an den Stehtischen in Frankfurt ausgeführt sind. Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbaren Umsätze sind auch nicht steuerbefreit. Aus den Einnahmen ist die USt dann mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i. H. v. 7 % herauszurechnen. Die Auffassung des Sonderprüfers ist somit nicht zutreffend. Soweit G auch Getränke verkaufen würde, würden diese regelmäßig – mit Ausnahme bestimmter Milchgetränke – dem Regelsteuersatz unterliegen.
Sitzgelegenheiten führen zur Annahme von sonstigen Leistungen
Würde G seinen Kunden auch Sitzgelegenheiten und/oder weitere Infrastruktur (Räume, Garderobe, Toiletten) zur Verfügung stellen, würde dies regelmäßig zur Annahme einer sonstigen Leistung führen. Da G aber nach dem Sachverhalt seinen Kunden ausschließlich Stehtische zur Verfügung stellt, ist nicht davon auszugehen, dass es sich um eine die Bewirtung fördernde Infrastruktur handelt.
Allerdings kann sich ein dem Regelsteuersatz unterliegender Restaurationsumsatz durch die Mitbenutzung der Infrastruktur eines Dritten auch ohne ausdrückliche vertragliche Regelung ergeben, wenn das Gesamtkonzept nicht ohne diese Mitbenutzung der Infrastruktur verwirklicht werden könnte.
Ebenfalls von einheitlichen sonstigen Leistungen ist der BFH bei der Einräumung der Mitbenutzung eines sog. "Food-Courts" sowie bei der Abgabe von Speisen auf Mehrweggeschirr in einer Vorkassenzone eines Supermarkts ausgegangen.
Nachvollziehbare Aufzeichnungen bei unterschiedlichen Leistungen notwendig
Werden sowohl ermäßigt besteuerte als auch regelbesteuerte Umsätze ausgeführt, sollte auf die Abgrenzung bei den Aufzeichnungen geachtet werden. Nur durch schlüssige Aufzeichnungen können Auseinandersetzungen ...