Leitsatz
Umsätze wie die im Ausgangsverfahren fraglichen, sind, selbst wenn sie ausschließlich in der Absicht getätigt werden, einen Steuervorteil zu erlangen, und sonst keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgen, Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen und eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 2 Nrn. 1 und 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 1 der 6. EG-RL, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen.
Normenkette
Art. 2 Nr. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2; Art. 5 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-RL (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 9 UStG, § 42 AO)
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Universität, führte nur zu einem geringen Teil steuerpflichtige Umsätze aus. Da die bei der beabsichtigten Renovierung zweier Gebäude anfallenden Vorsteuerbeträge unter normalen Bedingungen deshalb weitgehend nicht wiederzuerlangen gewesen wären, suchte die Universität – durch eine Vielzahl von aufeinander abgestimmten Rechtsgeschäften unter Einschaltung eines Trusts und einer 100%igen (nach englischem Recht selbstständigen) Tochtergesellschaft – einen Weg, ihre Steuerbelastung zu verringern oder den Zeitpunkt der Steuerfälligkeit hinauszuschieben.
Das vorlegende Gericht ging davon aus, dass die Gestaltung dem alleinigen Zweck gedient hätte, den Steuersparplan zu erleichtern, dass es sich aber nicht um Scheinumsätze gehandelt habe.
Entscheidung
Der EuGH entschied wie im Leitsatz wiedergegeben. Die Umsetzung der Kriterien im Einzelfall obliegt dem anrufenden nationalen Gericht.
Hinweis
Die Besprechungsentscheidung betrifft einen in Großbritannien spielenden Fall; das vorlegende Gericht hatte Zweifel, ob Umsätze Lieferungen von Gegenständen (vgl. § 3 Abs. 1 UStG) oder Dienstleistungen (vgl. § 3 Abs. 9 UStG) und eine wirtschaftliche Tätigkeit (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) darstellen, wenn sie ausschließlich in der Absicht getätigt werden, einen Steuervorteil zu erlangen und sonst keinen wirtschaftlichen Zweck verfolgen.
Der EuGH betont unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung, dass es sich bei den Begriffen "Lieferung", "Dienstleistung" – die wie auch der Begriff der "wirtschaftlichen Tätigkeiten", der sich auf einen weiten Bereich erstreckt – um objektiv festgelegte Begriffe handelt und dass die betreffenden Ausdrücke, die die nach der 6. EG-RL steuerbaren Umsätze definieren, sämtlich objektiven Charakter haben und unabhängig von Zweck und Ergebnis der betroffenen Umsätze anwendbar sind (Rd.Nr. 48). Eine Verpflichtung der Steuerverwaltung, Untersuchungen anzustellen, um die Absicht des Steuerpflichtigen zu ermitteln, sei deshalb unvereinbar mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, Rechtssicherheit zu gewährleisten und die mit der Anwendung der Mehrwertsteuer verbundenen Maßnahmen dadurch zu erleichtern, dass, abgesehen von Ausnahmefällen, auf die objektive Natur des betreffenden Umsatzes abgestellt wird.
Entscheidend ist danach, ob Umsätze die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen die Begriffe "Lieferung" (vgl. § 3 Abs. 1 UStG), "Dienstleistung" (vgl. § 3 Abs. 89 UStG) und "wirtschaftliche Tätigkeit" (§ 2 Abs. 1 UStG) beruhen. Auch wenn diese Kriterien im Fall einer Steuerhinterziehung, z.B. durch falsche Steuererklärungen oder die Ausstellung nicht ordnungsgemäßer Rechnungen, nicht erfüllt sind, ändert das nichts daran, dass es bei der Feststellung, ob ein Umsatz eine Lieferung von Gegenständen oder eine Dienstleistung und eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, nicht darauf ankommt, ob der betreffende Umsatz ausschließlich zur Erlangung eines Steuervorteils getätigt wurde (Rd.Nr. 51).
Damit ist aber das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht: Dem Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug steht entgegen, wenn die Umsätze, die dieses Recht begründen, eine missbräuchliche Praxis darstellen (Rd.Nr. 52). Ob das der Fall ist, muss das nationale Gericht feststellen. Der EuGH verweist insoweit auf die – ebenfalls in diesem Heft (Seite 206) erläuterte – Entscheidung in der Rechtssache C-255/02 (Halifax u.a). Auch hier kann darauf verwiesen werden.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 21.2.2006, Rs. C-223/03 – University of Huddersfield Higher Education Corporation –