Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Dimitar Zvezdov
3.1 Untersuchungsziele, -ansatz und -methoden
Eckdaten
Um einen Einblick in die Unternehmenspraxis des Nachhaltigkeitscontrollings zu erhalten, wurden zwischen 2009 und 2011 ausgewählte große deutsche und britische Unternehmen analysiert. Dazu wurden insgesamt 60 Interviews mit unterschiedlichen unternehmensinternen Akteuren in den Unternehmen geführt.
Bei der Auswahl der Unternehmen wurden ein starkes Nachhaltigkeitsengagement und ein ausreichend komplexes Controlling-System vorausgesetzt. Das Nachhaltigkeitsengagement wurde dabei anhand der Reputation (z. B. in Form von Projekten, Initiativen oder Nachhaltigkeitsauszeichnungen) und der Nachhaltigkeitskommunikation (Veröffentlichung eines qualifizierten Nachhaltigkeitsberichts, bewertet von GRI oder IÖW/Future) untersucht. Um das zweite Kriterium zu erfüllen, wurden insbesondere große, börsennotierte Unternehmen ausgewählt (darunter 5 DAX-Unternehmen). Die Branchenverteilung reichte von der Finanz- bis zur Baubranche, von Medienunternehmen bis zur Energie- und Textilbranche. Dies sorgte dafür, dass Brancheneffekte nahezu ausgeschlossen werden konnten.
Zielsetzungen
Die empirische Untersuchung ermöglichte einen detaillierten Einblick in die Praxis des Nachhaltigkeitsinformationsmanagements und -controllings. Der explorative Charakter der Untersuchung diente dazu, Ansätze, Ideen, Chancen und Probleme zu erkunden, die beim Identifizieren, Sammeln, Analysieren und Kommunizieren von Nachhaltigkeitsinformationen in der Unternehmenspraxis auftreten.
Vorgehensweise
Als die Person, die bei der Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts und der Sammlung, Aufbereitung und Kommunikation von Nachhaltigkeitsinformationen typischerweise involviert ist, war der Nachhaltigkeitsmanager der erste Ansprechpartner und Interviewpartner in jedem Unternehmen. Für die umfangreiche Analyse der Informationsflüsse wurden weitere Mitarbeiter identifiziert, die Nachhaltigkeitsinformationen generieren oder nutzen, und ebenfalls interviewt. Anschließend wurden die erhobenen Daten gemäß den fünf Perspektiven des Nachhaltigkeitscontrollings ausgewertet.
3.2 Untersuchungsrahmen
Im Vorfeld der empirischen Erhebung wurde anhand der bestehenden Literatur untersucht, welche bisherigen Erkenntnisse vorliegen, um ein Nachhaltigkeitscontrolling in den zuvor vorgestellten Dimensionen anwenden zu können. Diese werden hier kurz dargestellt, um sie in einem weiteren Schritt mit den Ergebnissen unserer Praxisuntersuchung zu vergleichen.
Hemmnisse beim Einsatz des Nachhaltigkeitscontrollings
Die Literatur bietet bereits eine Übersicht von Barrieren, die der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen im Wege stehen. Auch wenn die Autoren dort einen starken Bezug auf KMU nehmen, deuten zahlreiche Publikationen darauf hin, dass diese hier zusammengefassten Faktoren auch für größere Unternehmen gelten:
- Fälschliche implizite Annahme, dass Umweltaktivitäten mit übergeordneten Unternehmenszielen kollidieren,
- Kenntnis- und Erfahrungsmangel im Umgang mit Sozial- und Umweltproblemen und mangelnde Kenntnis der eigenen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft,
- rückständige Organisationskultur, was Sozial- und Umweltbelange betrifft,
- mangelnde Problemeinsicht bezüglich Trends und mangelndes Erkennen, welchen Nutzen Nachhaltigkeitsaktivitäten bieten,
- eingeschränkte finanzielle und personelle Ressourcen für Nachhaltigkeitsmaßnahmen und -projekte,
- die verfügbaren Konzepte und Instrumente sind primär auf große Unternehmen ausgerichtet.
Ungleiche Gewichtung der verschiedenen Perspektiven
Auf Basis dieser Aufzählung wird erwartet, dass manche Ausprägungen des Nachhaltigkeitscontrollings bislang stärker vertreten sind als andere. So kann erklärt werden, warum das finanzorientierte Nachhaltigkeitscontrolling in der Praxis überproportional berücksichtigt wird. Denn viele der Kennzahlen dienen als Rechtfertigung dafür, dass die Verfolgung ökologischer und sozialer Ziele nicht sinnvoll ist oder umgekehrt, dass sie mit keinen finanziellen Einbußen verbunden ist. Die Rolle freiwilliger und verpflichtender Standards der Berichterstattung ist ein weiterer Grund dafür, dass finanzorientierte Kennzahlen in den Vordergrund rücken. Demgegenüber müsste sich z. B. eine Organisationskultur, die soziale und ökologische Fragen wenig beachtet, in einer mangelnden Berücksichtigung der lern- und Know-how-orientierten Nachhaltigkeitscontrolling-Perspektive äußern.
Starke Prozessorientierung
Des Weiteren ist eine starke Berücksichtigung des prozessorientierten Nachhaltigkeitscontrollings zu erwarten. Durch steigende Rohstoff- und Energiepreise besteht zunehmend die Notwendigkeit, die Material- und Energieströme hinter den (Produktions-)Prozessen im Detail zu verstehen, um die Effizienzziele zu verfolgen. Aus diesen Daten kann die Auswirkung der Prozesse auf die Umwelt direkt abgeleitet werden. Auch die Gesetzgebung scheint eine Rolle zu spielen – einerseits sind Unternehmen verpflichtet, bestimmte physikalische Kennzahlen offenzulegen. Andererseits tun sie dies teilweise auch auf freiwilliger Basis, die durch zusätzliche staatli...