Dr. Gerlind Wendt, Michael Wendt
Leitsatz
Ist der Anspruch auf eine Milchaufgabevergütung bereits im Wirtschaftsjahr vor der endgültigen Beendigung der landwirtschaftlichen Betätigung zu aktivieren und gehört er wirtschaftlich zum Aufgabegewinn, ist er als Aufgabegewinn bereits dem Gewinn des Kalenderjahres hinzuzurechnen, in dem er entstanden ist.
BFH, Urteil vom 24.8.2000, IV R 42/99
Normenkette
§ 4a Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war Pächter eines landwirtschaftlichen Betriebs und hielt u.a. Milchvieh. Im März 1990 beantragte er für die teilweise Aufgabe der Milchproduktion die Zahlung einer Milchaufgabevergütung, die im Juni 1990 bewilligt und im August 1990 gezahlt wurde. Im Januar 1991 stellte der Kläger seine betriebliche Tätigkeit endgültig ein. In seiner Bilanz auf den 30.6.1990 erfasste der Kläger die Forderung auf Zahlung der Milchaufgabevergütung, bildete aber zugleich einen passiven RAP, weil mit der Vergütung die Verpflichtung verbunden war, zehn Jahre lang insoweit keine Milch zu produzieren. Soweit der RAP bei Aufgabe des Betriebs im Januar 1991 noch nicht aufgelöst war, bezog der Kläger ihn in den tarifbegünstigten Aufgabegewinn ein.
Das FA behandelte die gesamte Milchaufgabevergütung als laufenden Gewinn des Wj. 1989/90. Die gegen die ESt-Bescheide 1989 und 1990 erhobene Klage hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH teilte den Standpunkt von FA und FG nicht. Sie seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass die dem Kläger gewährte Milchaufgabevergütung nicht zum tarifbegünstigten Aufgabegewinn gehöre. Allerdings habe der Kläger den Anspruch zum 30.6.1990 in voller Höhe aktivieren müssen. Der dabei entstehende Gewinn sei nicht durch Bildung eines passiven RAP zu neutralisieren. Zwar sei die Gewährung der Milchaufgabevergütung für den Milcherzeuger mit der Verpflichtung verbunden, die Milcherzeugung in Zukunft auf die ihm verbliebene Milchreferenzmenge zu beschränken. Daraus ließe sich evtl. ableiten, dass die Milchaufgabevergütung ein zeitraumbezogenes Entgelt sei. Im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe sei der Vorgang aber als Veräußerung eines immateriellen Wirtschaftsguts zu behandeln. Die Milchreferenzmenge sei ein solches Wirtschaftsgut, das aus dem Betriebsvermögen in gleicher Weise ausgeschieden sei, als wenn der Kläger es veräußert hätte. Die Unterlassungsverpflichtung wirke sich wegen der Betriebsaufgabe nicht mehr aus.
Die Milchaufgabevergütung sei nicht als Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG tarifbegünstigt. Weder liege ein Fall des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG vor, weil der Kläger von sich aus und aus freiem Antrieb auf mögliche Einnahmen aus der Milcherzeugung verzichtet habe. Noch handele es sich um einen Fall des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG, weil der Kläger die Milchproduktion nicht insgesamt aufgegeben habe.
Die Milchaufgabevergütung könne aber zum tarifbegünstigten Aufgabegewinn gehören, wenn die Freisetzung der Milchreferenzmenge auf Grund eines einheitlichen Entschlusses des Klägers erfolgt sei, seinen landwirtschaftlichen Betrieb aufzugeben, und die weiteren Voraussetzungen für eine Betriebsaufgabe vorlägen. Das FG habe nicht festgestellt, ob sich der Kläger zur Freisetzung eines Teils seiner Milchreferenzmenge entschlossen habe, weil er bei der zum 31.1.1991 geplanten Betriebsaufgabe mangels Interessenten nicht die gesamte Milchreferenzmenge habe verpachten oder verkaufen können. Dies müsse das FG noch nachholen.
Es bleibe offen, ob der Kläger eine Rückstellung bilden müsse, wenn zivilrechtlich die vereinnahmte Milchaufgabevergütung zumindest teilweise dem Verpächter des landwirtschaftlichen Betriebs zustehe.
Hinweis
Eine Betriebsaufgabe kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Sie kann auch mehrere Veranlagungszeiträume betreffen. Entscheidend ist lediglich, dass sich die einzelnen Handlungen im Zusammenhang mit der Betriebseinstellung als einheitlicher, wirtschaftlicher Vorgang auf Grund eines einheitlichen Entschlusses darstellen. Werden durch Vorgänge, die in zwei VZ fallen, stille Reserven aufgedeckt, konnte sich nach altem Recht die Frage stellen, ob in beiden VZ der halbe Steuersatz zu gewähren ist. Auch für die mehrfache Begünstigung der Progressionsglättung nach § 34 Abs. 1 EStG n.F. stellt sich dieselbe Frage. Sie ist nach dem BFH-Urteil vom 17.10.1991, IV R 97/89 (BStBl II 1992, 392) zu bejahen, obwohl die stillen Reserven nicht geballt in einem VZ realisiert werden. Neuerdings kann auch der halbe Steuersatz wieder in Anspruch genommen werden (§ 34 Abs. 3 EStG n.F.), allerdings nur noch einmal im Leben. "Einmal im Leben" ist nicht identisch mit "in einem VZ". Deshalb kann bei einer Verwirklichung des Aufgabegewinns in mehreren VZ m.E. auch jeweils der halbe Steuersatz beansprucht werden.
Ungeklärt ist ebenso die Frage, wie mit dem einmal im Leben zu gewährenden Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu verfahren ist, wenn der Gewinn auf mehrere VZ entfällt. Den Freibetrag erhält der Steuerpflichtige insgesamt nur einmal; er muss auf die VZ aufgeteilt werden. Da der Freibetrag der Höhe ...