Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Verstößt eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gegen zwingende Zustellungsvorschriften, weil der Zusteller entgegen § 180 Satz 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung nicht vermerkt hat, ist das zuzustellende Dokument i.S.d. § 189 ZPO in dem Zeitpunkt dem Empfänger tatsächlich zugegangen, in dem er das Schriftstück in die Hand bekommt.
Normenkette
§ 180, § 189 ZPO, § 11, § 53 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Ein klageabweisendes FG-Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten mit Zustellungsurkunde zugestellt. In der Zustellungsurkunde wurde angegeben, dass der Umschlag nach dem vergeblichen Versuch der Übergabe in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt worden sei. Als Tag der Zustellung wurde der 24.12.2008 (Mittwoch) in die Zustellungsurkunde eingetragen. Auf dem zugestellten Umschlag fehlte hingegen die vorgeschriebene Datumsangabe.
Die Revisionsschrift der Prozessbevollmächtigten ging am Dienstag, dem 27.1.2009, beim BFH ein. Nach einem telefonischen Hinweis der Geschäftsstelle des zuständigen VIII. Senats, dass die Frist zur Einlegung der Revision bereits am 26.1.2009 abgelaufen sei, widersprachen die Prozessbevollmächtigten: Das Urteil sei ihren Prozessbevollmächtigen erst am 29.12.2008 (Montag) zugegangen. Die Kanzlei sei vom 24. bis 28.12.2008 nicht geöffnet gewesen. Die für die Leerung des Briefkastens sowie die Öffnung und Verteilung der Eingangspost zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte B habe die Sendung am 29.12.2008 im Kanzleibriefkasten vorgefunden. Dem bearbeitenden Rechtsanwalt habe B auf sofortige Nachfrage gesagt, der Brief sei am 29.12.2008 eingegangen.
Der VIII. Senat vertrat die Auffassung, das Dokument sei dem Empfänger i.S.d. § 189 ZPO bereits in dem Zeitpunkt tatsächlich zugegangen, in dem nach dem gewöhnlichen Geschehensablauf mit einer Entnahme des Schriftstücks aus dem Briefkasten und der Kenntnisnahme gerechnet werden könne (§ 130 BGB). Das sei hier der Vormittag des 24.12.2008 gewesen, als der Zusteller, wie er als Zeuge bekundet habe, die Sendung in den Briefkasten der Anwaltskanzlei eingeworfen hatte. Die Revision sei daher verspätet eingelegt.
Diese Auffassung wich von der Auffassung anderer Senate des BFH ab. Daher rief der VIII. Senat gem. § 11 FGO den Großen Senat an (Vorlagebeschluss vom 7.2.2013, VIII R 2/09, Haufe-Index 5086312, BFH/PR 2013, 433, BFHE 241, 107, BStBl II 2013, 823).
Entscheidung
Der Große Senat folgte der Auffassung des vorlegenden VIII. Senats nicht. Die Heilung des Zustellungsfehlers setze nach § 189 ZPO voraus, dass der Empfänger das Schriftstück "in die Hand bekommt".
Hinweis
1. Zustellungsrecht kann tückisch sein. Flüchtigkeitsfehler des Bevollmächtigten (oder seines Personals, wenn der Bevollmächtigte diese Fehler unbesehen übernimmt) können zur Versäumung prozessrechtlicher Fristen, insbesondere von Rechtsmittelfristen, und schlimmstenfalls zum endgültigen Rechtsverlust führen. Wenn bei einer förmlichen Zustellung durch Zustellungsurkunde irgendetwas Ungewöhnliches passiert, ist folglich höchste Aufmerksamkeit geboten. Auch das Kanzleipersonal sollte durch gründliche Unterweisung entsprechend sensibilisiert werden.
2. Besonders "unfallträchtig" ist die Situation bei der Ersatzzustellung, die rechtssystematisch einen Ausnahmefall darstellt, praktisch aber recht häufig auftritt.
a) |
Zustellung ist nach § 166 Abs. 1 ZPO die Bekanntgabe (im Grundsatz die Übergabe) eines Dokuments an eine Person in der von §§ 166ff. ZPO bestimmten Form. Dafür kann ein Zustellungsauftrag mit Zustellungsurkunde erteilt werden. Wird die Person, der zugestellt werden soll, nicht angetroffen, und kann das Schriftstück auch nicht einer der in § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO genannten Personen übergeben werden, kann nach § 180 Satz 1 ZPO das Schriftstück in den Briefkasten des Empfängers eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). |
b) |
Besonders unübersichtlich wird die zustellungsrechtliche Situation, wenn bei einer Zustellung durch Zustellungsurkunde zunächst der Zusteller einen Fehler macht und sodann die dadurch entstandene unklare Rechtslage nicht als solche erkannt oder die Unklarheit nicht ausgeräumt wird. |
3. Ein solcher Fehler des Zustellers kann darin bestehen, dass er vergisst, auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung einzutragen, wie es § 180 Satz 3 ZPO verlangt. Diese Formalie ist dem Gesetzgeber so wichtig, dass der Zusteller ihre Erfüllung in der Zustellungsurkunde gesondert zu beurkunden hat (§ 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO), was allerdings in den Zustellungsurkunden von vornherein so vorgedruckt ist. Die Frage, ob das dem Gesetz Genüge tut, mag hier offenbleiben.
4. Fehlt die vorgeschriebene Angabe des Zustellungsdatums auf dem Umschlag, handelt es sich um eine Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften. Für diesen Fall schreibt § 189 ZPO vor, dass dann das zuzustellende Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, i...