3.1 Referendum vom 23.06.2016
Der damalige Premierminister David Cameron hatte ein Referendum mit dem Ziel anberaumt, sich seine Politik für einen Verbleib Großbritanniens als kritisches Mitglied in der EU bestätigen zu lassen. In diesem Referendum stimmte jedoch eine Mehrheit von knapp 52 % der Wahlberechtigten, die ihre Stimme abgegeben hatten, für den Austritt Großbritanniens aus der EU. Dabei zeigte sich ein äußerst heterogenes Abstimmungsverhalten. So stimmte die Mehrheit in vielen größeren Städten sowie die klare Mehrheit der teilnehmenden Wahlberechtigten in Schottland, aber auch die Mehrheit der jüngeren Wahlberechtigten in allen Landesteilen für einen Verbleib des VK in der EU.
Das unerwartete Ergebnis führte zum Rücktritt Camerons als Regierungschef. Zu seiner Nachfolgerin bestimmte die Konservative Partei Theresa May. Sie hatte sich in dem dem Referendum vorangehenden Wahlkampf eher für einen Verbleib in der EU ausgesprochen. May interpretierte ihr Mandat als Premierministerin aber von Beginn an als Auftrag, Großbritannien ohne fortbestehende Bindungen an EU-Regeln, insbesondere in den Bereichen Arbeitnehmerfreizügigkeit, Einwanderung und Rückgewinnung der britischen Entscheidungshoheit in sämtlichen rechtlichen Angelegenheiten, aus der EU zu führen. In diesem Sinne stand auch ihre Regierung – wenn auch erfolglos – bereits unter dem Motto "Get Brexit done".
3.2 Austrittsgesuch und Neuwahlen
Nach erst gerichtlich erzwungener Parlamentszustimmung reichte die britische Regierung am 29.03.2017 ihr offizielles Austrittsgesuch nach Artikel 50 des Vertrags über die Europäischen Union (EUV) ein. Dieser Antrag setzte eine grundsätzlich auf zwei Jahre begrenzte Austrittsfrist in Gang, innerhalb derer die Austrittsbedingungen zwischen der EU und dem VK verhandelt werden konnten. Eine Verlängerung dieser am 29.03.2019 ablaufenden Frist bedurfte der einstimmigen Zustimmung sämtlicher 28 EU-Mitgliedsstaaten (d. h. Großbritanniens und der 27 übrigen EU-Mitgliedsstaaten).
Kurz nach dem Austrittsgesuch setzte Theresa May Neuwahlen zum Unterhaus auf den 08.06.2017 mit dem Ziel an, die Position der Konservativen Partei im Parlament zu stärken und sich dadurch ein klares Verhandlungsmandat zu holen. Bekanntlich ging diese Rechnung nicht auf. Vielmehr profitierte Labour von der verfahrenen Situation und die Konservative Partei verlor sogar ihre absolute Mehrheit. Diese war in dieser kritischen Phase im Unterhaus fortan auf die Unterstützung der nordirischen DUP angewiesen.
3.3 Erste Verhandlungsphase (2017)
Die EU-Verhandlungsdelegation wurden von Michel Barnier geleitet. Auch die EU-Seite definierte einige rote Linien, die bei den Verhandlungen aus ihrer Sicht nicht überschritten werden konnten. So wurde ein "Cherry Picking" abgelehnt, nach dem Großbritannien nach einem Baukastenprinzip nur diejenigen Bereiche des Binnenmarktes auswählen könnte, die es für die eigene Position für vorteilhaft hält, sich aus den anderen Bereichen aber selektiv zurückziehen. Es wurde stets betont, dass die vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes, nämlich die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, die Personenfreizügigkeit und die Warenverkehrsfreiheit, unteilbar und nur als Ganzes zu haben oder eben nicht zu haben seien.
Zudem knüpfte die EU-Seite den Beginn von Verhandlungen über das künftige Verhältnis zwischen EU und Großbritannien, das insbesondere für die britische Verhandlungsseite im Vordergrund stand, an die Bedingung, dass zuvor hinreichende Fortschritte im Hinblick auf drei wesentliche Austrittsbedingungen erzielt worden seien. Dabei handelte es sich um den Status von EU-Bürgern in Großbritannien und von britischen Staatsbürgern in den EU-Staaten, die Erfüllung der verbleibenden finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens gegenüber der EU sowie schließlich den besonderen Status Nordirlands als Teil des VK auf der irischen Insel. Insoweit wird eine Neuerrichtung physischer Grenzen vor dem Hintergrund jahrzehntelanger gewalttätiger Auseinandersetzungen, die erst durch das sog. Karfreitagsabkommen 1998 ein vorläufiges Ende gefunden haben, als äußerst riskant angesehen.
Insbesondere im Hinblick auf den künftigen Status Nordirlands gab es seinerzeit keineswegs eine Lösung, sondern allenfalls Eckpunkte, die zu beachten seien und bereits damals von der deutschen Bundeskanzlerin treffend als "Quadratur des Kreises" beschrieben wurden. Vor diesem Hintergrund konnte die Feststellung des Rates der Europäischen Union am 15.12.2017, dass es hinsichtlich der genannten drei kritischen Punkte hinreichende Fortschritte gegeben habe, und man deshalb in die weiteren Verhandlungen mit Großbritannien eintreten könne, eher als politisches Signal denn als sachlich begründete Feststellung verstanden werden.
3.4 Zweite Phase der Verhandlungen (2018)
Unter dem Eindruck des fortschreitenden Zeitablaufs legte die EU-Seite Anfang 2018 einen ersten Entwurf eines aus ihrer Sicht denkbaren Austrittsvertrags vor, der im Anschluss an einen für den 29.03.2019 erwarteten Austritt eine Übergangsfrist bis zum 31.12.2020 vorsah. Trotz von Beginn an bestehender Zweifel, ob diese Frist ausreichen würde, f...