Jörg Hanken, Guido Kleinhietpaß
In diesem Kapitel wird das Thema ›VP-Verteidigung‹ erläutert.
Abb. 60: Verrechnungspreiszyklus – VP-Verteidigung
Dieser Schritt umfasst steuerliche Betriebsprüfungen und falls diese nicht im Sinne des Unternehmens beendet werden konnte, Möglichkeiten der Streitbeilegung. Steuerliche Betriebsprüfungen sind bekanntermaßen oft sehr langwierig, ressourcenintensiv und streitanfällig. Sie haben den Zweck, für eine gleichmäßige Besteuerung zu sorgen.
Dieses Kapitel erläutert folgende Aspekte:
- ›normale‹ unilaterale VP-Betriebsprüfungen,
- Joint Audits und Simultaneous Audits,
- das Betreiben von Verständigungsverfahren (›MAP‹) zur Beseitigung von Doppelbesteuerungen sowie
- die Beantragung von Vorabverständigungsverfahren (›APA‹).
Bei ›normalen‹ steuerlichen Betriebsprüfungen internationaler Konzerne werden mittlerweile in Deutschland und in den meisten anderen Staaten VP verpflichtend geprüft. Deutsche Konzerngesellschaften werden erfahrungsgemäß lückenlos (d. h. jedes Wirtschaftsjahr) geprüft. In anderen Ländern ist dies nicht immer der Fall. Im seltenen Idealfall akzeptiert die Betriebsprüfung die VP-Dokumentation und beanstandet die VP nicht. In der Praxis ist jedoch häufig zu beobachten, dass aus pro-fiskalischem Interesse versucht wird, Betriebsprüfungsfeststellungen (z. B. VP-Korrekturen) durchzusetzen, obwohl die VP angemessen ausgestaltet worden sind. Ebenso häufig endet die Betriebsprüfung in einer Schlussbesprechung, in der sich der Steuerpflichtige und die Betriebsprüfer im Rahmen der tatsächlichen Verständigung auf einen Korrekturbetrag einvernehmlich einigen, obwohl dieser oft auch abschließend doppelt besteuert ist. Insofern ist jeder ›gute Deal‹ wirtschaftlich betrachtet ein schlechter, da eine Doppelbesteuerung vorliegt. Nur die vollständige Beseitigung einer Doppelbesteuerung ist aus internationaler steuerlicher und unternehmerischer Sicht akzeptabel und eigentlich auch das erklärte Ziel der Staaten, die gerade deswegen untereinander Doppelbesteuerungs(-vermeidungs-)abkommen abgeschlossen haben.
In Abgrenzung zu den oben beschriebenen unilateralen ›normalen‹ Betriebsprüfungen, fordern immer mehr Staaten bilaterale Betriebsprüfungen ein. Das heißt, die Betriebsprüfer von zwei Ländern sind involviert und prüfen denselben Sachverhalt. Bei einem sog. ›Joint Audit‹ prüfen die Betriebsprüfer beider Länder in dem einen und auch in dem anderen Land gemeinsam und sind physisch vor Ort. Das heißt, die Sachverhaltsermittlung und die Würdigung erfolgen zeitgleich und in Anwesenheit des Steuerpflichtigen. Diese Verfahren dienen dazu, Verständigungsverfahren (siehe unten) zu vermeiden. Nach Aussagen der deutschen Behörden sind ca. 80 % dieser Verfahren innerhalb von zwölf Monaten erledigt, was im Vergleich zu normalen Betriebsprüfungen und auch zu Verständigungsverfahren deutlich schneller ist. Ein sog. ›Simultaneous Audit‹ bedeutet, dass zwei Betriebsprüfer zeitgleich, aber jeder in seinem Land prüft. Auch dieses Verfahren kann Verständigungsverfahren vermeiden, es ist aber deutlich schwächer als ein ›Joint Audit‹.
Falls es in einer Betriebsprüfung nicht zu einer einvernehmlichen Einigung über einen VP-Sachverhalt bzw. die Rechtsfolge kommt, kann der Steuerpflichtige den Antrag auf ein Verständigungsverfahren auf Basis eines Doppelbesteuerungsabkommens oder auf Basis der EU-Schiedskonvention stellen. Mit diesen Verfahren kann das Unternehmen zwar versuchen, zu erreichen, die Mehr(-ertrag-)steuern von dem anderen Staat (teilweise) zurückzuerhalten, Zinsen werden in der Praxis selten, Strafzuschläge gar nicht rückerstattet. Eine Garantie für die Beseitigung der Doppelbesteuerung gibt es nur in der EU, außerhalb der EU bis auf wenige Ausnahmen nicht. Außerdem dauern diese Verfahren lange und binden zeitliche und monetäre Ressourcen. Deshalb entscheiden sich Unternehmen dann gegen derartige Verfahren, wenn aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht die erwarteten Verfahrenskosten die erwartete Ertragssteuerrückerstattung übersteigen.
Verständigungsverfahren zählen zu den reaktiven Maßnahmen einer Konfliktbeseitigung. Es gibt jedoch schon seit vielen Jahren die sehr interessante und immer stärker nachgefragte Möglichkeit, die steuerliche Angemessenheit von VP-Sachverhalten proaktiv von einer oder zwischen zwei oder mehreren Finanzverwaltungen abschließend klären zu lassen. Diese Vorabverständigungsverfahren (›APA‹) binden dann die beteiligten Finanzverwaltungen i. d. R. für drei bis fünf Jahre, soweit der Steuerpflichtige die sogenannten ›Critical Assumptions‹ einhält. Auch diese Verfahren dauern lange, schaffen aber Rechtssicherheit und reduzieren den zukünftigen Dokumentationsaufwand.
In welchen Fällen APAs geeignet sind sowie weitere Details zu Joint Audits, Verständigungsverfahren und Klagen erfahren Sie in Teil B, Kapitel 13.