Für gesellschaftsrechtliche Fragen ist auf EU-Ebene die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Art. 49 und 54 vereinbarte Niederlassungsfreiheit von maßgebender Bedeutung. Es handelt sich um eine der vier Grundfreiheiten. Die Niederlassungsfreiheit umfasst das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat nach den gleichen Bestimmungen, die dieser für seine eigenen Staatsbürger festgelegt hat, selbstständige Erwerbstätigkeiten aufzunehmen und auszuüben sowie Unternehmen zu gründen und zu führen. Sie gilt im Verhältnis zu EU-Mitgliedstaaten und zu den EWR-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein (Art. 31, 34 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA)) sowie, allerdings nicht auf Basis des AEUV, sondern wegen des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen Deutschland und den USA aus dem Jahr 1954 (DAFV) bilateral zwischen diesen beiden Ländern. Im Verhältnis zu anderen Drittstaaten findet die Niederlassungsfreiheit keine Anwendung.

Die Anwendung und die Ausprägungen der Niederlassungsfreiheit im Gesellschaftsrecht auf europäischer Ebene wurden durch diverse Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert. Wegweisend waren v. a. die Entscheidungen in den Rechtssachen Centros (1999), Überseering (2002) und Inspire Art (2003) (dazu im Detail noch später unter Abschnitt 1.2.3)

Danach sind Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der EU wirksam gegründet worden sind, in allen anderen Mitgliedstaaten in vollem Umfang anzuerkennen. Ein Unternehmer muss die Möglichkeit haben, eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat seiner Wahl zu gründen und mit dieser in allen anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden (Wachter, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 189). Für Gesellschaften, die in einem der EWR-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein gegründet worden sind, gilt über Art. 31, 34 EWRA dasselbe Ergebnis.

Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit ist allgemein die (beabsichtigte) tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmestaat auf unbestimmte Zeit. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet nicht zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften. Nach wohl herrschender Meinung kann sich nur auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wer unter eigenem Namen bzw. unter eigener Firma Rechte erwerben und Pflichten eingehen kann, wem also nach deutschem Verständnis (Teil-)Rechtsfähigkeit zuerkannt wird (BeckOGK/von Thunen, IPR Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 48 ff.). Das sind bei den Personengesellschaften in Deutschland die offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG) sowie die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), soweit sie als Außengesellschaft konzipiert ist, im VK bis zum Brexit z. B. die nach schottischem Recht gegründete "limited partnership". Reine Innengesellschaften (wie z. B. eine stille Gesellschaft) können sich danach nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Allerdings darf auch einer solchen oder einer anderen nichtrechtsfähigen Gesellschaft, die hierzulande tätig wird und die von im Anwendungsbereich des AEUV ansässigen Gesellschaftern gegründet wurde und einer EU- bzw. EWR-Rechtsordnung unterliegt (z. B. bis zum Brexit eine nach dem Recht von England und Wales gegründete "limited partnership"), die Anerkennung nicht verweigert werden, weil sich auch die Gesellschafter selbst auf die Niederlassungsfreiheit berufen können (BeckOGK/von Thunen, IPR Internationales Personengesellschaftsrecht, Rn. 50).

Im grenzüberschreitenden Kontext kommen in der Praxis allerdings häufiger Kapitalgesellschaften vor. In Deutschland sind das im Wesentlichen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH, inklusive Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (UG)), die Aktiengesellschaft (AG) und die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), im VK die "private company limited by shares" (Limited), sie entspricht der deutschen GmbH und ist die im VK am weitesten verbreitete Rechtsform, die "public company limited by shares" (PLC), sie entspricht der deutschen AG, und die "limited liability partnership" (LLP), dabei handelt es sich um eine Sonderform der "limited partnership", bei der allerdings die Haftung aller Gesellschafter auf die Einlage beschränkt ist. Wenn im Folgenden vereinfacht nur von einer "Limited" gesprochen wird, gelten die Ausführungen entsprechend für PLC und LLP.

Auf die gesellschaftsrechtlichen Unterschiede innerhalb des VK (England und Wales, Nordirland, Schottland) wird nachfolgend nicht eingegangen. Es wird vereinfacht vom britischen Recht bzw. von britischen Gesellschaften gesprochen.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?