Die Frage, ob und wie ein Staat eine in einem anderen Staat gegründete Gesellschaft anerkennt, ist nach den Grundsätzen des internationalen Gesellschaftsrechts zu beantworten, also nach den Regeln, die darüber entscheiden, welches nationale Sachrecht auf eine Gesellschaft anwendbar ist. Dabei wird ganz allgemein zwischen der Gründungstheorie und der Sitztheorie unterschieden. Zum Teil wenden Staaten die Theorien in modifizierter Form an.
1.2.1 Strenge Sitztheorie
Die Sitztheorie hält den tatsächlichen Verwaltungssitz für maßgebend, um die Frage nach dem auf eine Gesellschaft anwendbaren Recht zu beantworten. Maßgebend für den Verwaltungssitz ist der Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen werden (Jaschinski/Wentz, WM 2019, 438).
Hat eine Gesellschaft, auch eine im Ausland gegründete, ihren Verwaltungssitz in Deutschland, muss bei Anwendung der strengen Sitztheorie aus deutscher Sicht geprüft werden, unter welche in Deutschland bekannte Gesellschaftsform die Gesellschaft zu subsumieren ist. Im deutschen Recht gilt der Numerus Clausus der Gesellschaftsformen. Das bedeutet, dass nur die in den verschiedenen Gesetzen vorgesehenen Gesellschaftsformen existieren und die Gesellschafter bei Gründung einer Gesellschaft an diese gebunden sind. Die Kapitalgesellschaften im deutschen Recht zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass sie in notariell beurkundeter Form gegründet werden müssen, die Satzungen den im Gesetz geforderten Mindestinhalt haben und sie im Handelsregister als solche eingetragen werden (z. B. §§ 2, 3, 11 GmbHG). Wenn eine im Ausland gegründete Kapitalgesellschaft ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat, werden diese Voraussetzungen regelmäßig nicht vorliegen mit der Folge, dass diese bei Anwendung der strengen Sitztheorie in Deutschland nicht als Kapitalgesellschaft, beispielsweise als GmbH oder als AG, anzuerkennen ist. Es bleibt dann nur, diesen Zusammenschluss nach den sonstigen in Deutschland anerkannten Gesellschaftsformen zu würdigen. Bei mehreren Gesellschaftern führt dies zur Anerkennung als OHG, wenn der Zweck der Gesellschaft auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist, oder, wenn dies nicht der Fall ist, etwa im Fall der Vermögensverwaltung, als GbR.
1.2.2 Britische Sichtweise: Gründungstheorie
Nach der Gründungstheorie ist das Gesellschaftsrecht des Staates anwendbar, nach dessen nationalem Recht die Gesellschaft gegründet wurde. Dies ist regelmäßig der Sitz, wie in der Satzung angegeben, welcher auch für die Registrierung der Gesellschaft maßgeblich ist. Für die Vertreter der Gründungstheorie ist es i. d. R. unproblematisch, wenn Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderfallen, weil der Verwaltungssitz für die Einordnung des anwendbaren Gesellschaftsrechts keine Relevanz hat.
Das VK folgt schon seit jeher der Gründungstheorie. Dort hat diese Theorie auch ihren Ursprung. In den Kolonialzeiten des 18. Jahrhundert war es aus Sicht des VK wichtig, dass dort gegründete Gesellschaften auch und v. a. in den Kolonialgebieten Rechts- und Investitionsschutz hatten. Der Verwaltungssitz solcher Gesellschaften war regelmäßig außerhalb des VK, sollte aber für die Einordnung der Gesellschaftsform keine Relevanz haben (Tiedje in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 54 AEUV Rn. 38).
Länder wie das VK, die die Gründungstheorie verfolgen, stehen dem Zuzug einer ausländischen Gesellschaft i. d. R. offen gegenüber. Das VK würde es keiner in Deutschland gegründeten GmbH verwehren, ihren Verwaltungssitz in das VK zu verlegen, auch wenn das in der Praxis wohl eher selten vorkommen dürfte. Daran hat sich übrigens auch durch den Brexit nichts geändert.
1.2.3 Deutsche Sichtweise: Europäische Gründungstheorie bzw. modifizierte Sitztheorie
In Deutschland gibt es keine einheitlichen gesetzlichen Regelungen für das internationale Gesellschaftsrecht. Es beruht vielmehr auf Rechtsprechung. Historisch wurde die strenge Sitztheorie vertreten. Dies hatte für in Deutschland gegründete Kapitalgesellschaften zur Folge, dass diese ihren Verwaltungssitz nicht ins Ausland verlegen durften, weil sie dann aus deutscher Sicht nicht mehr als deutsche Kapitalgesellschaften anzusehen waren, sondern als aufgelöst galten (s. dazu auch Abschnitt 3.4). Umgekehrt wurden im Ausland gegründete Kapitalgesellschaften bei Verlegung des Verwaltungssitzes nach Deutschland hier nicht als solche anerkannt, weil sie nicht nach den Grundsätzen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts gegründet worden waren (s. Abschnitt 1.2.1).
Die strenge Sitztheorie wurde im Jahr 2008 durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) aufgeweicht, indem der Gesetzgeber deutschen GmbHs, AGs und KGaAs seitdem nicht mehr gesetzlich auferlegt, dass am (Satzungs-)Sitz der Gesellschaft auch die Geschäftsführung oder ein Betrieb der Gesellschaft liegen muss (Streichung des 2. Absatzes sowohl in § 4a GmbHG als auch in § 5 AktG). Auch wenn sich dies nicht eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, ist es allgemein anerkannt, dass die Neuregelung in §§ 4a GmbHG, 5 AktG so zu verstehen ist, dass deutsches Gesellschaftsrecht ...