Der für das Gesellschaftsrecht geltende harte Brexit hat dazu geführt, dass die europäische Gründungstheorie im Verhältnis zum VK grundsätzlich nicht mehr anzuwenden ist. Dies gilt mit Ablauf des im Austrittsabkommen aus dem Jahr 2019 vereinbarten Übergangszeitraums (s. dazu Abschnitt 2.2.2) seit dem 01.01.2021. Nicht abschließend geklärt ist, ob es einen Bestandsschutz für zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Gesellschaften gibt. In der juristischen Literatur wird zum Teil vertreten, dass ein solcher Vertrauens- und Bestandsschutz unumgänglich sei und sich auch auf verschiedene Weise herleiten lasse (Nachweise bei Schmidt, ZIP 2019, 1093).
Die wohl herrschende Meinung in der Literatur lehnt demgegenüber einen Vertrauens- oder Bestandsschutz ab (Luy, DNotZ 2019, 484 mit weiteren Nachweisen). Auch der deutsche Gesetzgeber hat sich im Rahmen des Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19.12.2018 (4. UmwÄndG) gegen einen allgemeinen Bestandsschutz entschieden. Dies begründete er damit, dass eine dauerhafte Anerkennung der Rechtsform der betreffenden Gesellschaften zu einer ungerechtfertigten Privilegierung gegenüber deutschen Gesellschaften führen würde (Regierungsentwurf zum 4. UmwÄndG, BT-Drs. 19/5463).
2.2.1.1 Im Vereinigten Königreich gegründete Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland
Nach wohl herrschender Meinung ist das VK (auch) gesellschaftsrechtlich seit dem Brexit (also seit Ablauf des Übergangszeitraums) als Drittstaat zu behandeln (vgl. Abschnitt 1.3). Die Folge ist, dass im VK gegründete Gesellschaften seit dem 01.01.2021 in Deutschland nach der strengen Sitztheorie zu behandeln sind.
Eine britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland muss also nach deutschem Gesellschaftsrecht beurteilt werden. Für eine Anerkennung als Kapitalgesellschaft müssten betroffene Gesellschaften die Anforderungen des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts erfüllen, damit deren Gesellschafter in den Genuss der darin geregelten Haftungsprivilegien kommen (Jaschinski/Wentz, WM 2019, 438). Eine Qualifizierung als britische Kapitalgesellschaft mit Haftungsbeschränkung ist nicht (mehr) möglich, weil die Gesellschaft nicht nach den Regeln des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts (z. B. GmbHG oder AktG) gegründet worden und nicht als solche im Handelsregister eingetragen ist. Stattdessen ist die Gesellschaft, vergleichbar einer Vorgründungsgesellschaft, als Personengesellschaft zu behandeln. Wie unter Abschnitt 1.2.1 bereits beschrieben, sind die Gesellschaften je nach wirtschaftlicher Betätigung entweder als OHG oder als GbR einzustufen. Bei Gesellschaften mit nur einer natürlichen Person als Gesellschafter ist dieser, der Betrieb eines Handelsgewerbes unterstellt, künftig als Einzelkaufmann zu behandeln, da dem deutschen Recht eine Personengesellschaft mit nur einem Gesellschafter fremd ist. In Gruppenstrukturen wird eine 100 %-Tochtergesellschaft rechtlich nicht anerkannt und die Vermögensgegenstände werden stattdessen der Muttergesellschaft zugeordnet, als wäre das Vermögen bei dieser angewachsen. In jedem Fall ist die Haftungsbeschränkung (nach britischem Recht) in Deutschland nicht länger anzuerkennen.
Weitere Schwierigkeiten können sich daraus ergeben, dass diese Gesellschaften, unabhängig von der deutschen Sichtweise, im VK weiterhin ihren Status als Limited, PLC oder LLP behalten. Es erfolgt nicht automatisch eine formwechselnde Umwandlung der Gesellschaften, etwa in eine deutsche Personengesellschaft. Im VK unterliegen die Gesellschaften vielmehr unverändert dem britischen (Kapital-)Gesellschaftsrecht. Es kommt folglich zu einer sog. Statutenverdoppelung mit einer Vielzahl daraus resultierender Probleme (Schmidt ZIP 2019, 1093, 1097). Dazu zählen neben den vorgenannten Folgende:
- Es kann zu Unklarheiten bei der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretung der Gesellschaften kommen: Bei einer britischen Limited sind für beides die Direktoren zuständig. Sobald die Gesellschaft jedoch in Deutschland als OHG oder GbR zu behandeln ist, gelten die Vorschriften der §§ 114 ff. HGB oder §§ 709 ff BGB, wonach diese Rechte (nur) den Gesellschaftern zustehen. Der im deutschen Personengesellschaftsrecht geltende Grundsatz der Selbstorganschaft verbietet es, die Geschäftsführung und Vertretung auf Dritte zu übertragen. Daran wird sich auch durch das MoPeG nichts ändern. Ein Direktor, der nicht zugleich Gesellschafter ist, darf somit keine internen Entscheidungen mehr treffen und die Gesellschaft auch nicht mehr vertreten. Nach wohl herrschender Meinung kann eine organschaftliche Vertretungsmacht nach britischem Recht nicht ohne Weiteres in ein rechtsgeschäftliches Vertretungsrecht nach deutschem Recht umgedeutet werden (Jaschinski/Wentz, WM 2019, 438).
- Die Gesellschaften sind in Deutschland u. U. nicht mehr rechts- und parteifähig, wie es beispielsweise das LG Düsseldorf in der Rechtssache Überseering entschieden hatte (s. dazu Abschnitt 1.2.3).
- Es kann zu Problemen bei der Vollstreckung kommen, wenn z. B. im VK gegen die britische Limited erwirkte Titel in Deutschland nicht mehr anerkannt werden, wei...