Im Folgenden werden die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen nach dem ursprünglich von der britischen Premierministerin Theresa May vor ihrem Rücktritt mit der EU ausgehandelten und später von ihrem Nachfolger Boris Johnson im Hinblick auf das sog. Protokoll zu Irland/Nordirland neu verhandelten, in Teil A Abschnitt 3.6 schon erwähnte Austrittsabkommen aufgezeigt (Letzteres veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 12.11.2019 unter der Nummer 2019/C 384 I/01). Dieses Austrittsabkommen war nach einigem Hin und Her am 01.02.2020 in Kraft getreten.
Es sah in Art. 126, 127 einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.2020 vor, in dem das Unionsrecht für das VK und im VK fortgalt. Es enthielt darüber hinaus keine speziellen Regelungen für das Gesellschaftsrecht im Allgemeinen oder für die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Besonderen. Für den Übergangszeitraum bedeutete dies aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, dass sich insoweit im Vergleich zur Rechtslage zu vor dem Brexit nichts änderte, d. h., die europäische Gründungstheorie galt bis zum 31.12.2020 weiter. Art. 132 Abs. 1 des Austrittsabkommens hatte zwar die Möglichkeit eröffnet, den Übergangszeitraum einvernehmlich einmalig um ein oder zwei Jahre zu verlängern. Allerdings ist von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht worden.
Der deutsche Gesetzgeber hat, wie in Teil A Abschnitt 5.2 beschrieben, mit dem Brexit-Übergangsgesetz (Brexit-ÜG) vom 27.03.2019 (BGBl I 2019, 402, geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 21.12.2019, BGBl I 2019, 2875) eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass das VK für den Zeitraum des Übergangszeitraums im Bundesrecht als Mitgliedstaat der EU galt (§ 1). Das Gesetz trat an dem Tag in Kraft, am dem auch das Austrittsabkommen in Kraft trat (§ 4), mithin am 01.02.2020. Zwar wäre Deutschland auch ohne ein solches Gesetz an ein auf EU-Ebene ausgehandeltes Austrittsabkommen gebunden gewesen. Aber es ist allgemein anerkannt, dass der Erlass des Brexit-ÜG gleichwohl zulässig war, weil es der Rechtssicherheit und -klarheit diente (Knaier, GmbHR 2019, R84).
Im VK wurde das Austrittsabkommen aus dem Jahr 2019 durch das "European Union (Withdrawal Agreement) Act 2020" ratifiziert. Mit diesem Gesetz wurde auch verfügt, dass alle zuvor auf den "exit day" abgestellten Folgen des Brexits stattdessen am "IP completion day" (IP steht für "implementation period"), also mit Ablauf des Übergangszeitraums am 31.12.2020, eintreten bzw. zwischenzeitlich eingetreten sind.
Das Austrittsabkommen hatte damit die Folgen des harten Brexits, zumindest für das Gesellschaftsrecht, lediglich aufgeschoben.