Bi- oder multilaterale Vorabverständigungen bieten eine deutlich höhere Rechtssicherheit als unilaterale Auskünfte.
Nachfolgend soll der Begriff des Vorabverständigungsverfahrens ausschließlich für bi- oder multilaterale Verständigungen verwendet werden. Diese Verfahren werden auch als sogenannte "Advance Pricing Agreements" (APA) bezeichnet.
13.1.2.1 Ablauf eines APA
Das Vorabverständigungsverfahren läuft, vereinfacht dargestellt, folgendermaßen ab:
Abb. 144: Ablauf des Vorabverständigungsverfahrens
Vorgespräch (Pre-filing)
Üblicherweise beginnt ein APA-Verfahren mit einem sogenannten "Pre-filing Meeting", bei dem mit den jeweiligen Landesvertretern der Finanzbehörden die wesentlichen Rahmenbedingungen des APA (angedachter Sachverhalt, geplante Verrechnungspreismethoden, gewünschter APA-Zeitraum, Critical Assumptions etc.) vor Einreichung des Antrages diskutiert werden. Federführend ist hierbei in Deutschland das Bundeszentralamt für Steuern, wobei regelmäßig auch Vertreter des zuständigen Veranlagungsfinanzamtes anwesend sind. Zielsetzung des Meetings ist es, eine erste (inoffizielle) Vorabeinschätzung der Finanzbehörden zu erhalten, um auf dieser Basis entscheiden zu können, ob die Einreichung eines Antrages sinnvoll erscheint bzw. welche Änderungen ggf. im Antrag gegenüber der im Pre-filing Meeting dargestellten Verrechnungspreismethodik noch erforderlich sind, um realistischerweise eine Einigung erzielen zu können. Mit dem Pre-filing Meeting an sich sind (neben dem Zeitaufwand für die Vorbereitung und Teilnahme am Treffen) keine weiteren Kosten verbunden.
APA-Antrag einreichen
Im Anschluss an das Pre-filing Meeting mit den jeweiligen Landesvertretern der Finanzbehörden wird in der Regel der APA-Antrag vorbereitet und anschließend eingereicht. Im APA-Antrag sind u. a. die relevanten Transaktionspartner, Wirtschaftsjahre, Transaktionen, der angedachte Verrechnungspreismechanismus (einschließlich Ausführungen zu dessen Angemessenheit) sowie die Critical Assumptions (d. h. Gültigkeitsbestimmungen für das APA) näher zu beschreiben. Die gesamten aus deutscher Sicht vorzulegenden Unterlagen sind im Detail in Tz. 3.5 des APA-Merkblatts vom 5. Oktober 2006 genannt. Die Dauer der Erstellung des APA-Antrages hängt naturgemäß von dessen Komplexität ab, üblicherweise erfolgt die Einreichung jedoch spätestens innerhalb von drei bis sechs Monaten nach den Pre-filing Meetings. Die deutsche Finanzverwaltung erhebt Gebühren für den Erstantrag in Höhe von 30.000 EUR und für einen Folgeantrag in Höhe von 15.000 EUR.
Verhandlung zwischen Behörden
Nach Einreichung des APA-Antrages wird dieser von den Finanzbehörden gesichtet. Oftmals ist dabei eine Landesfinanzbehörde für das Verfahren "federführend", die in der Regel ein erstes Positionspapier verfasst und dieses mit den anderen Ländern teilt. Die "federführende" Behörde übernimmt dabei üblicherweise auch die gesamte Koordination (d. h. das Einsammeln von Rückmeldungen der anderen Länder, die Zusammenfassung offener Fragen, die Kommunikation mit dem Steuerpflichtigen, die Koordination gemeinsamer Meetings etc.). Typischerweise entstehen nach Sichtung der Unterlagen Rückfragen der Finanzbehörden, die im Laufe des Verfahrens an den Steuerpflichtigen gerichtet werden. Diese werden in der Regel schriftlich beantwortet, wobei in der Praxis häufig zusätzlich gemeinsame Telefonate bzw. Meetings für eine detailliertere Darstellung/Diskussion vereinbart werden. Der gesamte Prozess ist also in der Regel "interaktiv" gestaltet. Aufgrund von Unsicherheiten über die künftige Entwicklung werden häufig auch Berechnungen verschiedener Szenarien bzw. Sensitivitätsanalysen beim Steuerpflichtigen angefragt. Zudem kann es im Laufe der Verhandlungen dazu kommen, dass das beantragte Verrechnungspreismodell auf Wunsch der Finanzbehörden in Bezug auf einzelne Aspekte etwas angepasst werden muss.
APA-Vereinbarung geschlossen
Nach Abschluss der Verhandlungen zwischen den Landesfinanzbehörden wird das Ergebnis in einer APA-Vereinbarung zusammengefasst, die im Anschluss dem Steuerpflichtigen zur Durchsicht bereitgestellt wird. Der Steuerpflichtige muss sodann der APA-Vereinbarung innerhalb einer (von den Landesfinanzbehörden) bestimmten Frist zustimmen und erklären, auf die Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die die APA-Vereinbarung betreffenden Steuerbescheide zu verzichten. Sofern keine fristgerechte Zustimmung erfolgt, scheitert das Verfahren. Im Falle einer fristgerechten Zustimmung sind der Steuerpflichtige und die betreffenden Landesfinanzbehörden für den Zeitraum des APAs (i. d. R. drei bis fünf Jahre) an die in der APA-Vereinbarung getroffenen Regelungen gebunden, wenn die darin spezifizierten "Critical Assumptions" (Gültigkeitsbedingungen) erfüllt werden. Letzteres ist jährlich vom Unternehmen zu dokumentieren.
Die durchschnittlichen Verfahrensdauern der in 2020 abgeschlossenen deutschen APAs mit anderen EU-Staaten sind im Vergleich zu den Vorjahren von 35 Monaten auf ca. 57 Monate gestiegen. Abbildung 145 zeigt die...