Fallbeispiel 12
Die DE-GmbH will einen Teil ihrer Produktion zusammen mit den dazugehörigen immateriellen Wirtschaftsgütern in eine britische Kapitalgesellschaft, die UK Limited, verlagern, weil sie dort wegen geringerer Kosten und niedrigerer Steuerbelastungen mit einem höheren Nachsteuergewinn rechnet.
Lösung
Sofern eine Funktionsverlagerung i. S. v. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG a. F. (vgl. § 1 Abs. 3b AStG n. F. nach AbzStEntModG) vorliegt und nicht ausnahmsweise eine Einzelverrechnung zulässig ist, ist der Verrechnungspreis nach der gesetzlichen Regelung aus dem gesamten Transferpaket abzuleiten. Dabei wird das Gewinnpotenzial der verlagerten Funktion sowohl aus der Perspektive des inländischen Unternehmens als auch aus der Perspektive des Erwerbers mit einbezogen. Dies kann dazu führen, dass die inländische Bemessungsgrundlage für diesen fiktiven Gewinnrealisierungsvorgang Kostenvorteile mit berücksichtigt, die ausschließlich aus dem Erwerberland, hier Großbritannien, stammen, wie z. B. eine geringere Steuerbelastung oder geringere Lohnkosten, mithin Faktoren, die mit der inländischen Wertschöpfung nichts zu tun haben.
Bei einer nach dem Ablauf des Übergangszeitraums vorgenommenen Funktionsverlagerung nach Großbritannien erübrigt sich die Überlegung, ob diese Elemente der deutschen Funktionsverlagerungsregelung mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar sind, da sie eine betriebliche Investition in Form einer Funktionsverlagerung möglicherweise unverhältnismäßig behindern (vgl. Frotscher, Brexit in Fällen, Funktionsverlagerung in das Vereinigte Königreich, https://www.haufe.de/steuern/kanzlei-co/brexit-funktionsverlagerung-in-das-vereinigte-koenigreich_170_491940.html). Ob die verlagerten stillen Reserven bzw. das Gewinnpotenzial vor oder nach Ablauf der Brexit-Übergangsfrist entstanden ist, spielt bei einer Verlagerung in das Drittland Großbritannien keine Rolle mehr. Allenfalls ließe sich in Erwägung ziehen, ob diese Regelung nicht bereits nach nationalem Recht zu einer Übermaßbesteuerung im Hinblick auf den im Inland erzielten Zuwachs an individueller Leistungsfähigkeit führt.
Soweit aus der Verlagerung beim Erwerber in Großbritannien Anschaffungskosten und Abschreibungspotenzial entsteht, werden darin die Wertbestandteile, die nicht aus Deutschland erworben werden, dort aber in die Funktionsverlagerung einbezogen werden, nicht als Anschaffungskosten und Abschreibungsbasis berücksichtigt werden. Insoweit besteht ein erhebliches Doppelbesteuerungsrisiko. Es erscheint schwer vorstellbar, dass Großbritannien insoweit zu einer Gegenberichtigung auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 DBA-UK (ggf. i. V. m. einem Verständigungsverfahren nach 26 DBA-UK) bereit wäre. Das EU-Schiedsverfahren – bzw. nunmehr auch die von Deutschland erst verspätet umgesetzte (BGBl I 2019, 2103) EU-Streitbeilegungsrichtlinie – stehen nach dem Ablauf des Übergangszeitraums im Verhältnis zum VK nicht mehr als potenziell effiziente(re) Streitbeilegungsmechanismen zur Verfügung.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die im Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz (AbzStEntModG) vom 02.06.2021 (BGBl I 2021, 1259) vorgesehene Neuregelung zur Funktionsverlagerung in § 1 Abs. 3b AStG n. F.